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ROBERT ENGELS
BÄRENFÜHRER
die Metaphysik des Traumes und Gedankens
ersetzen. Das ist die Art, in welcher der Dilettant
zu arbeiten pflegt. Und sie bedeutet
eine Selbstauflösung der Kunst. Hier könnte
das Märchenhafte der Kunst eines Engels Wegweiser
sein, „das Dionysische des Gedankens mit
dem Apollinischen der Form zu schöner Einheit
zu verschmelzen. Metaphysik allein, un-
geformt, ist ja unserem Sinne nicht faßbar.
Das Gewoge der Gedanken, das Brauen kosmischer
Nebel an sich ist uns nur schmerzlichsehnsüchtiges
Augenblickserlebnis; beunruhigt
die Seele, ohne in ihr das Gefühl, Gott und
sein Werk erlebt zu haben, greifbare und tröstliche
Wirklichkeit werden zu lassen."*) Dieses
Apollinische ist — trotz des urdeutschen Wesens
der Kunst Robert Engels' — ihr schöner
und bedeutender Grund. Reine Klarheit des
Zeichnerischen, liebevolles Herausarbeiten der
stillsten Einzelheit, Einfachheit im Aufbau und
Zusammenhalt im Klang des Ganzen, — so
selbstverständlich diese Eigenschaften für ein
Kunstwerk sind, man muß sie heute betonen.
*) Gedanken über Märchenbücher. Hochland 17 (igig/2o),
S. 56g.
Und gerade bei Engels dürfen sie nicht übersehen
werden, da bei ihm schon in das Gegenständliche
überall das Dionysische hineinklingt.
In den Tristan-Illustrationen finden wir diesen
Übergang ins Irrationale noch nicht, nur hier
und dort wird er, fast unbewußt, auf dem einen
oder dem anderen Blatt ertastet. In den späteren
graphischen Werken dagegen ist er voll
erkannt und in seiner ganzen Bedeutung gewertet
: der große Humor. Das Märchen, ganz
allgemein gesprochen, hat auch hier wohl das
Seinige dazu beigetragen, diese herrliche Glocke
in Schwung zu bringen. Denn alles Märchenhafte
stellt sich in einer köstlichen Freiheit von
dem Zwang des Scheines und der Dinge dar;
es bringt, unter Vortäuschung handfester Wirklichkeit
und Rationalität, die wunderbarsten Verknüpfungen
zwischen Natur und Mensch, Tier
und Verstand, Zeit und Ewigkeit, Raum und
Unendlichkeit zustande. Und durch diesen
Neuaufbau des Alltags setzt es eben den Alltag
in das lachende Licht eines unendlichen
Humors. Das ist so gut von der Zeichnung
Engels wie von der Germanisten-Feder der
Brüder Grimm und Asbjörnsens gesagt: Diese
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