http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_43_1921/0336
Zeichnung zaubert durch den Klang ihrer Linien
, den Fluß ihres Lichtes, die Tiefe und den
Ton des Bildes einen kostbaren und prachtvoll
befreienden „Humor" in diese Gegenständlichkeit
. Man darf nur Humor und Witz nicht
gleichsetzen wollen. Der Witz ist etwas durchaus
Rationales, in höchster Ausprägung Verstandesmäßiges
: ein lateinisch - gallisches Element
, wo wir ihn auch treffen. Sein germanisches
Gegenstück, der Humor, hat shakespea-
rische Größe und faustische Unbegreiflichkeit,
Überbegrifflichkeit. Er bedeutet uns die Verknüpfung
von Zeit und Ewigkeit, die Synthese
aller Antinomien. Die Heiterkeit des Gegenständlichen
taucht er—oder Engels—in das
Zwielicht des Spukes; den Ernst, ja den Tod,
läßt er durch die Form seiner Linien in eine
mozartische Heiterkeit hinüberklingen. Dieses
„Hinüber" ist das Wesentliche von Engels'
Humor, von Engels' Kunst überhaupt. Nie führt
dieser Künstler seine Feder den Gegenständen
entlang, immer über sie hinaus, so oder so,
ins Helle oder Dunkle, ins Bittere oder Süße.
Und darum steht über allen seinen Blättern,
trotz aller Derbheit und Naturtreue, ein magisch
märchenhafter Glanz. Daß dieser Glanz
aus rein künstlerischen Werten sich ergibt und
niemals literarisch - philosophisch hineingeheim-
nist wurde, bringt es mit sich, daß sich die
tiefsinnigen Zeitgenossen lieber von mystischen
Hexenmeistern etwas vorzaubern lassen, als von
der wahrhaft zauberischen Feder eines Robert
Engels. Man will es nun einmal nicht einsehen,
daß gerade in der Klarheit, der gegenständlichen
Eindeutigkeit die musikalische Vieldeutigkeit
liegt, die sich eben nie aus der Unform
des Gegenständlichen ergibt. Man geht lieber
in den Zirkus als in eine Oper Mozarts. Das
sind die gleichen Verhältnisse. Und erst die
Geschichte pflegt die Wege der Kunst in die
Weltkarten zu zeichnen.
In Robert Engels haben wir einen Künstler
, dessen Spuren man dermaleinst folgen
wird. Von unseren Graphikern kommt er
dem Letzten der Kunst vielleicht am nächsten
, dem Punkte, an welchem sich alle Künste
treffen und hinter welchem es nur eins gibt:
im Anfang war der Rhythmus. Gerade weil
Engels das Handwerkliche seiner besonderen
Kunst zu solcher Vollendung hinaufgearbeitet
hat, ist sein Werk wieder von diesen Tiefen
des Schönsten und Letzten umleuchtet. Jede
außerzeichnerische Absicht fehlt diesem Künstler
eben. Er kennt kein Pathos, keine Komik
, keine Ziererei und Interessantheit, —
nur die Gesetze der Zeichnung, die Rhythmik
der Linie. Daß diese Rhythmen in jedem
Werk freier und schöner wogen, daß sie immer
mehr des irrationalen Klanges auf Gegenstände
und Gestalten sammeln, ist ein Merkmal
bleibender Größe. Und diese Kunst geht
in ihrem Innern unbewußt über sich selbst
und das Fachliche hinaus: sie ist eine Kunst
im umfassenden Sinne des Wortes; Engels
könnte uns, wenn er pathetisch genug wäre,
von sich sagen: „Hab ich dir nicht alle Tiefe
der Welt gezeigt?" (Himmelküster.)
Dr. Wilhelm Matthießen
ROBERT ENGELS
URZINKZEICHNUNG AUS MATTHIESSEN, „HANS
DER RÄUBER UND MARGRET DIE ZAUBERIN" 0
(13. Dreiangeldruck, Hans v. Weber, Verlag, München)
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