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Tritt man von diesen Räumen trotz aller Qualität
mit diesem etwas resignierten Gefühl in die
Räume der Novembergruppe, möchte man wohl
geneigt sein, diesem Treiben einen Augenblick
Berechtigung zu erteilen. Denn nichts muß für eine
Produktion lähmender sein, als das verstohlene
Eingeständnis, — daß Gestaltung für sie eigentlich
nur Geschmackswandel der Oberfläche ist. Allein
die Problematik, die die Novembergruppe dem Geschmackgeschaukel
der älteren Gruppen entgegensetzen
will, ist aus derselben Wurzel entsprungen.
Auch hier nur Räsonnement. Und überdies noch
kilometerweise tiefer. Schon zu oft hat man sich
veranlaßt gesehen, die Struktur dieser Schicht aufzudecken
. Man findet nur paralelle Lagerungen noch
nicht geteilter Wesen. Vision nennt sich das vermeintliche
Gefühlszentrum dieser Wesen, Problem
der vermeintliche Bewußtseinsapparat. Wobei es
aber ihnen passiert, daß das primäre Dasein der
Vision nur in lallender Gestikulation vom Problem
empfangen wird. Von all jener okkulten Ästhetik,
die aus allen möglichen Kosmogonien sich die
urersten Gestaltungsprinzipien konstruiert, bleibt
in der Praxis nur das müdeste mathematische
Bewußtsein übrig, das immer ein Zeichen epigonenhaften
Klassizismus gewesen. Ob man in solchen
Zeiten die menschliche Form mißt oder wie die
Novembergruppe die Gradation der Farbintensitäten
, ist gleich senil. Die Kombination steht an
Stelle der Intuition und die Vision, d. h. jenes
letzte Gewißwerden, Gewißsein des Aufgehens der
sekundär sinnlichen Welt in die primäre, behilft
sich als Erscheinung mit dem chaotischen Rohstoff
. Papier, Streichhölzer, Photos, Stoffreste: also
Rohstoffe und nicht Formen, manifestieren das
Aufleuchten der Vision. Diese abstrakteste Kunst
formt mit den Zufällen des Chaos. Diese geformteste
aller Formenkünste vermag nichts weiter als
Rohstoffe zu addieren.
Kommt man von diesem linkesten Flügel zum
rechtesten, zu denen, die vielleicht noch nicht einmal
Aufnahme in den Verein Berliner Künstler
gefunden haben, ist der Unterschied nicht sehr
groß, d. h. die Einstellung ist genau so verrannt
wie links. Dort Vision auf dem Wege satirischer
Suggestion, hier Imitation auf dem Wege gutgläubiger
, aber unter Umständen noch dummer Suggestion
. Auch hier ist die Lagerung der Lebewesen
derart, daß individuelle Zeichen sich nicht
einstellen. Auch sie können namenlos bleiben.
Waren die Talente der Freien Secession durch
ein starkes Kunsterlebnis gefördert, so fehlt auf
der rechten Seite dieser Halt bei den starken
Talenten. Ja es fehlt oft am künstlerischen Takt.
Wenn Plontke seine religiösen Motive in biederstem
Illustrationsgeschmack erzählt, eine modernisierte
, von Jaeckel beeinflußte Palette in künstlich
witzelnden Formen spielen läßt, fehlt Geschmack,
fehlt Takt. Wenn selbst ein so starkes Talent wie
Ludwig Dettmann modernen Besatz für seinen
guten, aber etwas veralteten Schnitt sucht und
aus der Corinthgruppe — etwa Waske — farbige
Rhythmisierung holt und nur dieselben bengalischen
Roheiten erreicht, wenn er Millets Pathos
in seine Landszenen mischt, so fehlt Geschmack,
fehlt Takt. Nicht viel besser, wenn man wie Eichhorst
bei der einmal gefundenen falschen Leibinote
mit dem sogenannten phänomenalen Können
stehen bleibt. Ihm könnte man Gauguins Worte
empfehlen: „Ich will mit der linken Hand arbeiten
, wenn ich spüre, daß die rechte zu gesqhickt
geworden ist." W. Kurth.
NEUE KUNSTLITERATUR
Glaser, Curt. Lukas Cranach. Mit 117 Abbildungen
. (Deutsche Meister, hrsg. von K. Scheffler
und L. Glaser.) M. 60.—. Leipzig 1921. Im Inselverlag
.
Es ist ein feines Werk monographischer Kunstgeschichte
, das hier unter der klaren und sachlichen
Feder Glasers entstanden ist. Der Gegenstand
versprach eine reiche Ausbeute, aber die
Aufgabe war in manchem Betrachte, namentlich
im Formsinn und wechselnden Kunststile des Meisters
Cranach selber zwiespältig. Die Frühzeit Cra-
nachs verlangte in ihrem aktiveren Gestaltungstriebe
eine andere Empfänglichkeit, ein mehr aus
der eigenen Gegenwart erlebendes Interpretieren
als die zum Teil deutlich fremden Einflüssen
ausgesetzten nachfolgenden Perioden und insbesondere
als der Spätstil des Meisters. Aber gerade
dieses gibt Cranach seine ganze aparte Eigenart
und kultürliche Sonderstellung. Von hier „geht
ein Zauber und ein köstlicher Duft aus, wie er nur
den späten Blüten überreif gewordener Kunst
eignet. Ist Grünewalds Malerei das rauschende
Barock, so ist die des Cranach das zierliche Rokoko
der deutschen Spätgotik geworden". Glaser
sucht weniger eine durchgehende stilistische Formulierung
, als daß er kapitelweise die jeweiligen
Schöpfungen zeitlich und stofflich zusammenfaßt
und aus den Tatsachen der Formen die ästhetischen
Erkenntnisse ungezwungen hervorgehen
läßt. Ein Hauptwert liegt hier gerade auf den
letzten Kapiteln mit der Besprechung der Reformationsbilderkunst
, die eine gewisse Problematik
einschließt, und des Spätstils, der übrigens eigentümlich
auch von einem modischen Gegenwartsgefühle
durchweht ist. Die umfangreiche Bildbesprechung
(schade, daß auf große und gute Reproduktionen
nicht noch mehr Wert gelegt wurde)
schiebt sich mit einer vorbildlichen Leichtigkeit
in den Fluß der geschichtlichen Darstellung ein.
Es sind 117 Abbildungen. Auch bezüglich der
wechselnden Stoffe nimmt Cranach neben Dürer
und Holbein eine eigenartig voraussetzungslose
Stellung ein. Es ist zugleich ein umfängliches
Kultur- und Gesellschaftsbild, das sich um den
Namen des Wittenberger Hofmalers, des Freundes
Luthers, der auch in ausgedehntem Maße für
andere Auftraggeber wie Kardinal Albrecht tätig
war, der einen großen Werkstattbetrieb und eine
sehr bürgerlich festgelegte Existenz hatte, der
Reihe nach aufschließt. In der für jeden Gebildeten
gedachten Monographienreihe „Deutsche
Meister" ist damit ein guter Anfang gemacht, k. W.
Cornelius, Hans, Kunstpädagogik. Aufsätze
für die Organisation der künstlerischen Erziehung.
Mit 56 Zeichnungen u. 55 Abbildungen. München
1920. Eugen Rentsch.
Sind eigentlich die zahlreichen Bücher über
Kunsterziehung, die in den letzten 30 Jahren uns
der Markt beschert, ein günstiges Zeichen für
unsere künstlerische Kultur ? Die verneinende
Antwort, die man auf solche Fragen erteilen muß,
dürfte nicht so sehr daraus abzuleiten sein, daß
eben die Unkultur unserer Zeit in künstlerischen
Dingen solche Regulative des Geschmacks verlangt
; die allzusehr reflektierende Natur, wie sie
sich in solchen Büchern unserer Epoche ausspricht
, ist ein Zeichen für das Fehlen einer starken
künstlerischen Kultur. Die entsteht aus einem
naiven, unkonstruierten Schaffen, nicht naiv im
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