Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 316
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und durch ihn Ausdruck (Expression). Der
künstlerische Ausdruck; das Kunstwerk, soll im
Beschauer wieder eine zwar objektive, aber mit
einem Mehr (Plus) an seelischem Gehalt erfüllten
Eindruck (Impression) — die Stimmung —
erwecken, aus der das Kunstwerk hervorgegangen
ist.

In den Begriffen „Betonung", „Stimmung"
ist schon das musikalische Element angedeutet,
das auch im „Plus an seelischem Gehalt" mitschwingt
. Die Musik im Kunstwerk ist sowohl
die mit Naturlauten geoffenbarte Sprache der
Seele, wie auch die aus der Nur-Natur am
weitesten herausgehobene Ausdrucksform. Sie
ist der vergeistigte Ausdruck der Natur, beseelte
Form.

Solcher vergeistigter und beseelter Art ist
Wehries Landschaftskunst, eine höchste Steigerung
der Naturelemente ins Stimmungsvolle.
Es ist seltsam und zugleich kennzeichnend, daß
Wehrle kaum je den Versuch einer Naturnachschrift
, einer Naturstudie, machte. Seine
ersten Werke dieser Art sind eigenartige Übersetzungen
von Natureindrücken ins Stimmungsvolle
, Dichterische: es sind Traumgebilde. Bei
den allerfrühesten Arbeiten kam Wehrle unbewußt
zu einer an die japanische Kunst erinnernden
Flächenhaf tigkeit der Bilderscheinung,
während seine spätere Entwicklung immer stärker
auf Weiträumigkeit mittels Luft- und Farbenperspektive
eingestellt ist. Ihm war die Kunst
zunächst Ausdruck farbiger Empfindungen nach
dem Stimmungsvollen hin. In diesen ersten ja-
panisierenden Werken klingt das Stimmungselement
als Farbenklang, als Lichterscheinung
sehr deutlich hindurch. Für die späteren Werke
ließen sich unschwer jeweils entsprechende Verse
aus unseren Naturdichtern Goethe, Eichendorff,
Lenau u. a. als Titel oder Umschreibungen
finden.

Der Charakter der Erstlingswerke wird in
gewissem Sinne auch durch ihre feine technische
Eigenart nach der japanischen Seite hin
bestimmt. Eigenartige Zufälle und eine feine
Empfindung für das seiner Natur Gemäße führten
Wehrle zum Gebrauch der französischen
Pastellfarben. Nach wenigen Stunden der Unterweisung
in der Materialverwertung durch einen
in der französischen Pastelltechnik erfahrenen
Kunstgenossen — es war die einzige systematische
Anleitung zur Kunst — bildete er
diese subtile Technik mit dem ihm angeborenen
handlichen Geschick alsbald zu einer erstaunlichen
Beherrschung der Vieltönigkeit im
Farbenakkord weiter. Das Flächige der großen
Farbeneinheiten wurde zugunsten räumlicher
Wirkungen und delikat abgestufter Farbenübergänge
aus einer opalisierenden Gedämpftheit
zu einer geradezu brünstigen Glut deb
Farbenspiels im Vortrag gesteigert, die weit
über die heute so stark erzielte Kraft des Ko-
lorismus unserer hochentwickelten Ölmalerei
hinausgeht. In der französischen Pastelltechnik
(die sehr wohl von den Farbstiftzeichnungen
unterschieden werden muß) bleibt das eigentümliche
und unmittelbare Leben und Leuchten
des Pigmentes erhalten und gibt im Zusammenklang
der Tonwerte einen Glanz und Wohlklang
, die für die Öl- und die Aquarellmalerei
unerreichbar sind. (Die Lichtbildaufnahmen
können leider kaum noch Spuren des farbigen
Lebens der Bilder wiedergeben.)

In Wehries Kunst ersteht wieder eine tief-
tonige, leuchtende Palette, die ebensowohl an
die besten und klarsten Niederländer, aber auch
an die frühen englischen Landschafter, etwa
Constable, oder Turner, die er übrigens nicht
studiert hat, erinnern kann. An Constable gemahnt
die Art, Einfachheit und Natürlichkeit
der Motive, der Wohlklang des Farbenakkords;
an Turner die Darstellung und Anwendung phänomenaler
Lichterscheinungen. In der deutschen
Kunst des verflossenen Jahrhunderts könnte die
Linie von C. D. Friedrich über C. Rottmann
und Th. Verhas bis Thoma und Trübner gezogen
werden, um die Richtung anzudeuten,
in der sich Wehrle bewegt.

Die feine Koloristik Wehries baut gern auf
einem Hauptton auf, — etwa auf ins Graublau
gebrochenem Weiß, auf Grün, auf Rotbraun —,
der dann innerhalb seiner Funktion als Flächenfarbe
mittels Steigerung oder Dämpfung durch
kalte und warme Töne die abgestufteste Durchbildung
oder Führung in Komplementär- oder
in Kontrastfarben erfährt. So ergibt sich für
Wehrle z. B. bei Schneelandschaften ein wundersames
Spiel in Grau, Blau, Rosa und Orange
und bei den dabei gern angebrachten Lichteffekten
von Sonnenaufgängen und -Untergängen
, bei Mondscheinnächten, wie der Schwarzwald
sie einzigartig schön bietet, ein Funkeln
durch Purpurrot über Goldgelb bis ins geheimnisvollste
Blauviolett. Dadurch, daß das Zeichnerische
, das dem Farbstift gern anhaftet, in
Wehries rein malerischer Pastelltechnik nicht
nur völlig vermieden, sondern in einen bewegten
und lebendigen malerischen Vortrag umgebildet
wird, gewinnt er zu dem ohnehin Einschmeichelnden
der reinen farbigen Pastellpigmente
die malerische Kraft und Unmittelbarkeit
der Primamalerei und ebenso, durch die
eigenartige Unter- und Übermalerei, die Leuchtkraft
der schichtweise aufgetragenen Lasurtechnik
. Diese Pastelltechnik ist so dauerhaft,
daß diese Bilder auch durch die auf Transporten
und Ausstellungen unvermeidlich un-

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