Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 43. Band.1921
Seite: 320
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Eine ganz besondere Sorgfalt wendet Wehrle
den Lüften und Wolken zu, die er mit ätherischer
Leichtigkeit ihr wundersames Spiel in
den Himmelsräumen treiben läßt. Schon in
diesem Leben der Lüfte liebt Wehrle das Bewegte
, Erzählerische, episch oder dramatisch
Geballte. Aber darüber hinaus setzt er sein
Luft- und Lichtspiel auch noch mit der Terrainbildung
und mit den besonderen Erscheinungsformen
der Tages- und Jahreszeiten in Beziehung
und erreicht dadurch ein Zwiegespräch
zwischen Himmel und Erde von ungewöhnlichem
Reiz. Das aus dem Unterbewußtsein
stark wirkende Gefühl für kompositionelle Beziehungen
zwischen Farbe, Luft, Licht und
Raum im Bild sichert den Werken ein ungemein
starkes inneres Leben und wandelt das
Topographische restlos in farbig und seelisch
bewegte Form. Diese Vergeistigung des Landschaftlichen
ist durch die klare Anschaulichkeit
der Bildung, durch ihre raumkünstlerische
Schmuckwirkung, durch ihre beseelte Inbrunst
das durchaus Neue. Die Köstlichkeit der Farbwirkung
, opalisierendem Email vergleichbar,
leuchtet wie ein feingeschliffener Edelstein von
der Wand und heischt für jedes Werk seinen
besonderen Platz. Wir fühlen uns von dem
Geiste angeweht, in dem in der alten Kunst
die „Kabinettmeister" zu sprechen wußten :
vornehm, eindringlich und bestimmt. Werke
dieser Art sind immer die Liebe vornehmer
Sammler gewesen; Künstler dieser Art verzichten
leicht auf das, was man mit Volkstümlichkeit
in der Kunst bezeichnet.

Dr. Jos. Aug. Beringer-Mannheim

„BILDNISSE"
VON EMIL PREETORIUS*)

Die Ausdrucksmittel des Impressionismus, der
uns heute noch beherrscht, sind malerischer
Art: Abtönungen von Färb- und Helldunkelmassen,
die über den objektiven Bestand der festen Form
hinwegtäuschen und ihren Eigenwert soweit zu
tilgen bestrebt sind, daß sie nur in ihrer Beziehung
zum Ganzen verstanden und genossen werden
können. Der Impressionismus kennt ebensowenig
die naive Freude der Lokalfarbe, als die einer
wohlumrissenen, greifbaren Gestalt. Selbst die
Graphik, von Menzel bis Slevogt, hat die Linie
— ihr ursprünglichstes Element — nach Möglichkeit
ausgeschaltet, um durch ihre nüchterne Tatsächlichkeit
der Überzeugungskraft momentanster
Bewegtheit nicht entgegenzuarbeiten.

Im wesentlichen durch französischen Einfluß
genährt, hat der Impressionismus in Deutschland
eine künstlerische Ausdrucksform abgelöst, die

*) Zu der Mappe der sieben Originallithographien von
Emil Preetorius, Kurt Wolff-Verlag 19.19.

zur Übermittelung ihrer gedankenreichen Stoffe,
auf Kosten und unter Mißachtung aller malerischen
Möglichkeiten nur der Linie gehuldigt hatte. Die
Kunst derklassizistischenEpoche,mit derDeutsch-
land eine internationale Stellung erreichte, wie nie
zuvor oder nachher, war völlig auf klare dichterische
Formung durch höchste Kultur des Griffels eingestellt
. Geistiger Gehalt und graphischer Ausdruck
traten in engstem Bund zusammen und wenn
wir heute dazu neigen, bei Cornelius oder Genelli
nur noch die abstrakte Linie zu würdigen, so fällt
diese Einseitigkeit der dem Impressionismus eigentümlichen
Überschätzung der Kunstmittel zur Last,
die den Sinn für die Stofflichkeit in der bildenden
Kunst — sogar bei uns Deutschen, denen er so
stark angeboren ist — ungesund verkümmern ließ.

Was die neuesten Bestrebungen unter der vieldeutigen
, nichtssagenden Flagge des Expressionismus
erreichen wollen, ist im wesentlichen die
Wiedereroberung des geistigen Gehalts mit den
fragmentarischen Mitteln des Impressionismus. Ein
Künstler wie Emil Preetorius, der unbeirrt seiner
Natur folgend, die Dinge erkennbar, ja deutlich
und fest umreißt, scheint daher der eigentlich
aktuellen Bedeutung zu entbehren, denn seine
Ausdrucksform ist — ohne allen Archaismus —
rein die der Nazarener. Die Idee der kunstgeschichtlichen
Entwicklung beherrscht ja unsere
Zeit so despotisch, daß alles, was sich ihr nicht
ergibt oder anpaßt, der offiziellen Mißachtung verfällt
. Daß die herrschende Richtung nichts weiter
als einen Konsens der Mehrheit bedeutet, neben
welchem Möglichkeit und Geltung abweichender
Anschauungen unangetastet besteht, wird gemeinhin
nicht anerkannt oder übersehen. Und doch
bleibt es ein Wahn, die Abseitigkeit eines Künstlers
a priori mit einem Wert- bezw. Entwertungsurteil
zu verknüpfen, allein schon darum, weil gerade
sie einmal berufen sein könnte, belebend, sogar
entscheidend einzugreifen, wenn die „Entwicklung",
durch Kritik, Literatur und Kunstgeschichte zum
Ersticken eingeengt, auf einem toten Punkt festzulaufen
droht.

Was Preetorius mit der vorimpessionistischen
Generation verbindet, ist die klare, durchgeistigte
Prägung der Linie, deren vollendete Ornamentik
ihren Wert in sich selber trägt, zugleich aber —
und dies ist wesentlich — im Dienst einer produktiven
Vorstellungskraft steht und ihre Bestimmung
eigentlich erst als Instrument des überlegenen
Psychologen ganz zu erfüllen scheint.
Ein raffinierter Zwiespalt von kühler Skepsis und
gemütvoller, kleinbürgerlicher Beschränktheit
spielt in der gepflegten Arabeske dieses Zeichners,
jeder Schnörkel, fest und sicher wie mit dem
Stichel gezogen, schwingt schalkhaft zwischen
Tücke und Bonhomie. Nichts bleibt im Ungewissen
oder dem Zufall überlassen, sondern die
scharfe, geistvolle Handschrift steht überall im
reinsten Einklang mit dem, was sie mitzuteilen hat.

Ein starker Einschlag von ostasiatischer und
persischer Zeichenkunst in diesem Neuklassizismus
ist nicht zu übersehen ; sein exotischer, nervöser
Hauch bezeichnet eigentlich die Abweichung
dieser Kunst von dem, was gemeinhin als Klassizismus
hingenommen zu werden pflegt. Und eben
diese verfeinerte Kultur des Striches ist es auch,
die Preetorius dem sonst in manchem Sinne verwandten
Olaf Gulbransson als unabhängige, spezifische
Persönlichkeit gegenüberstellt.

R. Oldenbourg f

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