http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_44_1921/0061
EIN NEUES WERK VON HEINRICH STRAUMER
Das Wohnhaus soll die Persönlichkeit des
Bewohners in räumlichen Maßen ausdrücken
. Zur Individualisierung des Raumes
dient die Fläche mit den sie umgrenzenden
Linien. Feierlichkeit, intimes Behagen, trauliche
Enge oder schwellende Weite geben sich
im Verhältnis der Flächen zueinander zu erkennen
. Unterstützt wird die Sprache der
Flächen durch das Material, sei es der stolze
Marmor, der herbe Mauerstein oder das weiche,
warme Holz. Die stilistische Individualisierung
des Raumes wiederum erhält durch das Ornament
einen intimeren Hinweis auf das Leben
im Räume. Mit Anklängen an Vergangenes
und Gegenwärtiges hilft es die Seele des Bewohners
in bestimmtere Schwingungen versetzen
. Das rechte Verhältnis zwischen all
diesen den Raum individualisierenden Elementen
empfinden wir als die Einfachheit, Schlichtheit
der Formensprache.
Professor Heinrich Straumer hat dadurch
einen reformierenden Einfluß auf dem Gebiete
der Wohnhausarchitektur ausgeübt, daß er sie
von der Vorherrschaft äußeren Beiwerkes befreite
und zur reinen Wirkung der einfachen
Grundform zurückführte. Mit seinem natürlichen
Gefühl für die Einfügung der Baumassen
in ihre Umgebung wußte er von vornherein die
horizontale Energie der Mauerfläche gegen die
vertikale Energie der Raumwelt eindrucksvoll
abzuwägen. Als einer der ersten erkannte er
inmitten unserer heutigen Verwirrung in der
Architektur die Wichtigkeit der breiten Fläche,
der horizontalen Linie auch für die norddeutsche
Landschaft, deren tieferes Verstehen
uns die Gotik mit ihrer reich ornamentierten
Dekorative Kunst. XXIV. 3. Dezember 1920
41
6
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_44_1921/0061