Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 44. Band.1921
Seite: 46
(PDF, 56 MB)
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ohne den Zusammenhang der Räume in bezug
auf ihre Bedeutung zu durchbrechen.

Wie bereits der Grundriß des Hauses in
hohem Maße seine ganze Gestalt bestimmt, so
müssen bei einem guten Bauwerk auch äußere
Erscheinung und innere Raumwirkung im Gesamtausdruck
übereinstimmen. Während die
winklige Gotikfassade auf eine unregelmäßige
Verteilung der Innenräume vorbereitet, verlangen
die geraden, reinen Linien der Renaissancefassade
auch ein klares, übersichtliches Interieur
mit kräftiger Belichtung. Wir gehen daher
nicht fehl, von den ruhigen, breiten, Behagen
ausströmenden Mauern, die das Haus Scholtz
umschließen, auf große, regelmäßige und reich
belichtete Innenräume zu schließen, denen es
nicht an lauschigen, anheimelnden Wandgliederungen
und behaglichen Ecken mangelt.
Vorbildlich ist in dieser Hinsicht das weite
Musikzimmer. Seine Raumweite scheint sich
in dem leichten, wolkigen Deckenornament
öffnen zu wollen, als hebe es die Seele in die
Welt der Töne hinaus. Gleichzeitig verbreitet
die Holzvertäfelung der darin enthaltenen Bibliothek
eine wohlige Ruhe, die namentlich in
der dämmrigen Kaminecke das Gefühl bequemer
Geborgenheit auslöst: ein Rhythmus, der
mit dem Wandgetäfel durch die ganze Raumgröße
schwingt, sich hie und da zu tönender
Ornamentik steigert, um immer wieder zu behaglich
arrangierten Ruheplätzen zurückzukehren
. Ähnliche Raumweite empfängt uns
im Atelier, das von einer edlen Holzarchitektur
frohsinnig und einladend gegliedert wird. Ein
reizvoller Gegensatz ist hier zwischen der voll
einfallenden Lichtflut und der von einer Galerie
beschatteten Holzarchitektur mit Treppe geschaffen
worden, deren linke Ruhenische mit
kleinen Fenstern die Empfindung einer eigenen,
kleinen Traumwelt inmitten der sich ins Große,
Lichte dehnenden Umgebung hervorruft. Wir
werden nicht daran vorübergehen können, ohne
dem A rchitekten als einem Meister der Holzarchitektur
unsere höchste Bewunderung zu zollen.
Wir sehen das Material mit einem Verständnis angewandt
, daß wir seine tiefste Seele zu vernehmen
meinen. Welch verträumte Poesie liegt z. B.
in der kleinen Fenstertür, aus der man den guten
Hausgeist hervorzutreten und die kleine Treppe
hinansteigen zu sehen wähnt. Voll stillen Ernstes
hingegen mutet die ruhige Fläche der hervortretenden
Tür an, deren Pfosten in liebevoller
Sicherheit die Galerie stützen. Überaus anziehend
macht sich die leichte Mischung des
Lyrischen mit dem Monumentalen in der Holzarchitektur
der Diele des Obergeschosses geltend
. Wie wohlberechnet, in vornehmen Abständen
stützen die Säulen das in langen Linien
umlaufende Gebälk, während das Ornament
des Geländers eine Erinnerung an altbäuerische
Bodenständigkeit in die edlen, stilsicheren
Maße trägt.

Die gleiche Klarheit, die sich durch sämtliche
Proportionen des Hauses zieht, herrscht
ebenfalls in der Garten anläge. Auch hier hat
Straumer die Bedeutung der horizontalen Linie
im Gegensatz zu den schlank und vereinzelt
emporwachsenden Kiefern erkannt. Langgezogene
, gerade Wege, von ruhigen rechtwinkligen
Rasenflächen umgrenzt, die breit gegen
die schmale Wegöffnung streben, erzeugen
andächtige Sammlung unter den feierlich gen
Himmel ragenden Baumkronen. Schöne Perspektiven
leiten den Blick auf die Hausarchitektur
einerseits sowie in den waldigen Garten
anderseits. Wie vortrefflich der Architekt die
landschaftliche Natur des Terrains auszunutzen
verstand, bezeugt u. a. der vereinzelt in der
Mitte des Gartenhofes stehengebliebene Baum,
der zu dem freundlich sich zum Garten öffnenden
Hause (Nordseite) gleich einem Obelisk
ein ernstes Gegengewicht bildet. Diese Rücksicht
auf die natürliche Umgebung des Hauses
ließe sich an vielen Einzelheiten erläutern. Sie
trägt wesentlich dazu bei, dem ganzen Bau
sein selbstsicheres Antlitz zu verleihen.

Das Haus Scholtz bietet ein schönes Beispiel
dafür, daß in unsere moderne Wohnhausarchitektur
wieder Zielsicherheit kommt, so daß
Ausdruck und Inhalt sich deckt. Der heutige
Architekt strebt zur künstlerischen Einheit
aller einzelnen Bauteile, er ist wieder Künstler
geworden. Es ist noch nicht zu lange her,
da man die Baufehler eines Architekten mit
„praktischen Notwendigkeiten" entschuldigen
zu dürfen glaubte. Die Überwindung dieser
scheinbaren Widersprüche und Rhythmisierungs-
schwierigkeiten bleibt es doch gerade, was den
Künstler vom Stümper unterscheidet. Für den
wahren Architekten beginnt hier erst die Arbeit
. Die Zeichen der Zeit mehren sich, die
auf das Erwachen des künstlerischen Gewissens
in der Architektenschaft schließen lassen, von
dem Straumer in seinem neuesten Werke eine
schöne Probe des Wollens und Könnens
ablegte. Curt Bauer

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