http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_44_1921/0072
läßt, etwas, das der Lösung einer Kulturaufgabe
nahekommt. Gleichsam „hintenherum" — man
verzeihe das beliebte Schieberdeutsch — bietet es
eine Auslese, die dem Fabrikanten zur Nachfolge
mit gutem Gewissen empfohlen werden kann.
Nimmermehr aber würde es sich getrauen, die
Kritik, die die Voraussetzung der Entwurfs- und
Modellmesse bildet, anzuwenden auf die Masse
der Meßwaren. Wer da die weißen von den
schwarzen Schafen zu trennen unternähme, käme
in Teufels Küche. Meist hat sie ja der Zufall
zusammengeführt und alte liebe Gewohnheit läßt
sie nicht mehr auseinander. Die Masse der Meßverkäufer
mußte erst so gewaltig anwachsen, wie
es in den letzten Jahren geschehen ist, ehe man
lediglich aus Rücksicht auf die Bequemlichkeit
der Einkäufer daran ging, jene Scheidung nach
Branchen einzuleiten, von der schon die Rede
gewesen ist. Um sich in dem allgemeinen Wirrwarr
zur Geltung zu bringen, mußte aber das
Kunstgewerbe eigene Wege gehen und hat begonnen
, sich selbst zu organisieren — allerdings
nicht nach Fachgruppen, sondern nach der Qualität
, indem es, wie bei der Entwurfs- und Modellmesse
, Juroren ihres Amtes walten läßt.
Das große Vorbild für diese Vorgänge auf der
Leipziger Messe sind die Wiener Werkstätten, die
unter der Leitung Josef Hoffmanns zur Hochschule
eines feinen künstlerischen Geschmackes geworden
sind, der sich unter den günstigen Bedingungen
einer formalistischen Kultur entwickeln konnte, wie
es die der führenden Wiener Gesellschaft gewesen
ist. Wie die Wiener Werkstätten ihre preziösen
Gebilde: feinsinnigen Schmuck, farbige Keramik,
zierliche Glaswaren, reizvolle Moden in immer neuen
Varianten in gefälligster Weise vorzuführen wissen
und zu jeder Messe mit ausgesuchten Neuheiten
überraschen, das macht ihnen bei uns zu Lande
noch keiner nach, wie stark auch die Einwirkung
der Werkstätte und des Wiener Werkbundes sich
bereits verbreitet hat. Dabei huldigen sie keineswegs
nur dem Kapriziösen, sondern finden enge
Beziehungen auch zu volkstümlichen Kunstweisen.
Auch der Österreichische Werkbund hat sich mit
einer erlesenen Sammlung verwandter kunstgewerblicher
Arbeiten auf der Herbstmesse vortrefflich
eingeführt. Was er bringt, demselben künstlerischen
Nährboden entsprungen wie die Kunst
der Wiener Werkstätten, geht doch mehr ins Volk,
ist minder exclusives art pour l'art. Ich weiß, daß
eine Secession innerhalb des Österreichischen Werkbundes
stattgefunden hat und daß der Kampf um die
Kunst im Wiener Werkbund noch nicht ausgekämpft
ist. Jedenfalls durfte man in Leipzig dankbar sein,
für die angenehme Art, mit der die Wiener im Kunstgewerbemuseum
, das ihnen einen Raum zur Einrichtung
nach ihrem Geschmack eingeräumt hat,
auftreten, und man hat ihnen das gute Messegeschäft
, das sie gemacht haben, gern gegönnt.
Ohne Zweifel gibt es für die Vorführung des
Kunstgewerbes auch auf den Messen keine bessere
Form, als diejenige, die die Wiener gewählt haben.
Eine ähnliche Auslese und durchschnittliche Qualitätshöhe
strebte der Wirtschaftsbund deutscher
Kunsthandwerker an, der im Limburger Haus ein
gut Teil besten deutschen Kunsthandwerkes vereinigt
. Auch ihm schwebte von Anbeginn eine
geschmackvolle Vorführung vor, die es ermöglicht
, das einzelne Produkt für sich zu betrachten
und die 2um Ganzen der Raumausstattung zusammenstimmt
. Aber der Zudrang der Kunsthandwerker
ist schon so groß geworden, daß der Vitrinen
zu viele geworden sind und ein gefälliges Arrangement
nicht mehr möglich scheint. Auch hier
staunt man über die unverwüstliche Arbeitslust
und den Reichtum an guten dekorativen Ideen,
wenn auch der neue Geist expressionistischen
Kunstwollens noch keineswegs den Ton angibt.
Der konservativere Stil der Arbeiten wird nicht
zum wenigsten durch die Münchener Einsendungen
mitbestimmt. Wer den künstlerischen Quickborn
kennt, den München für die Kunst bedeutet, fragt
sich, ob die deutsche Kunstmetropole nicht etwa
ihre Kräfte an sich hält, um dann auf der Münchner
Gewerbeschau um so imponierender auftreten zu
können. Ein wenig mehr moderne Note würde
jedenfalls in Leipzig gute Figur machen und die
Zaghaften und Zweifler aufmuntern.
Noch eine dritte Stätte hat sich aufgetan, um
solchen Kunsthandwerkern und Kunstindustriellen,
die bei der großen Leipziger Raumnot nirgends
ein zureichendes Unterkommen für hochwertige
Waren finden können, eine provisorische Ausstellungsmöglichkeit
zu geben. Das Kunstgewerbemuseum
im Grassimuseum hatte ungeachtet seiner
eigenen Raumnot eine Anzahl Säle für den Zweck
freigemacht und sah als Gäste bei sich die Spitzen-
künstlergruppe Plauen, den Österreichischen Werkbund
und einzelne Künstler und Industrielle. Die
Plauener, die wir schon erwähnten, hatten mit der
Vorführung von Kostümen von Lilly Reich und
Margarete Naumann, bei denen die neuen Spitzen
zur Geltung kamen, einen unbestreitbaren Erfolg.
Wanda und Heia Bibrowicz zeigten Bildwirkereien
und Stickereien, die deutsche textile Kunst
(Rudolf Hiemann, Leipzig) und die Oberhessische
Leinenindustrie (Marx & Kleinberger, Frankfurt
a. M.) hatten Dekorationsstoffe geliefert.
Hervorragende Leistungen stellten dar die geschnittenen
Gläser von Wilhelm von Eiff in Stuttgart
, die Schmelzarbeiten von Karl Laag in Hanau,
die Treibarbeiten von Theodor Wende in Darmstadt
und die Plaketten von Alfred Lörcher in
Stuttgart. All diese Dinge waren in gefälliger
Weise im Charakter mehr einer musealen Ausstellung
als einer Messeauslage vorgeführt — und
so gehört es sich für rechte kunstgewerbliche
Qualitätsarbeit jeder Art. Die Ware soll nicht
nur gehandelt, sie soll auch genußreich dargebracht
werden, nur so kann sie nach ihrem vollen Wert
verstanden werden.
Die Welt wäre kein rechtes Narrenhaus, wenn
es in ihr nicht auch Leute gäbe, die es mit dem
Ernst eines wissenschaftlichen Kunstinstitutes
unverträglich finden, wenn ein ohnehin im Raum
beschränktes Museum wie das Leipziger Kunstgewerbe
-Museum die Messe in seine Räume einströmen
läßt. Aber wo die Messe geradezu zur
geschmacklichen Verbesserung herausfordert, darf
das Kunstgewerbe-Museum nicht bloß krittelnd
beiseite stehen, sondern es muß selbst mit Hand
anlegen, wenn es gilt, die Leipziger Messe zu
einem Geschmacksmesser für das deutsche Kunstgewerbe
zu machen. Aus diesem natürlichen Empfinden
heraus ist, als nach Kriegsausbruch die
Messeflut zu steigen begann, versucht worden,
auf die Messe Einfluß zu gewinnen und die grob
empirische Wertung der Messe als einer rein
merkantilen Angelegenheit zu bekämpfen. Mit
der Einrichtung der Entwurfs- und Modellmesse
wurde eine erste Bresche in das nichts als geschäftliches
Messegebahren geschlagen. Die Absonderung
des Wirtschaftsbundes im Sinne einer
qualitativen Auslese war eine weitere Staffel auf
dem Wege zur geschmacklichen Verbesserung der
Leipziger Messe, wie sie Muthesius kürzlich ge-
52
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_44_1921/0072