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JULIUS SCHRAMM, EIN KUNSTSCHMIED
Unsere moderne Wirtschaftsentwicklung hat
immer mehr zu einseitiger Betonung des
rein Verstandesmäßigen geführt. Um einen neuzeitlichen
, auf Massenherstellung hinzielenden
Produktionsbetrieb erfolgreich leiten zu können,
bedarf es in der Hauptsache der Intelligenz.
Wer kaufmännische Kalkulationsgabe und Organisationstalent
mitbringt, wird in den allermeisten
Fällen von Mißerfolgen verschont bleiben
. Was dabei fabriziert wird, spielt nicht die
entscheidende Rolle. Führende Köpfe unseres
Wirtschaftslebens sitzen als Aufsichtsräte in den
verschiedenartigsten Betrieben, auch Direktoren
wechseln ihre Stellungen und die Industriezweige.
Anders im Handwerk. Da zählen eine Menge
anderer Faktoren, wie Herkunft, Familie und
Tradition mit. Reine Persönlichkeitswerte sind
von ausschlaggebender Bedeutung. Und wenn
dem Sprichwort vom goldenen Boden des Handwerks
je Wahrheit innewohnte, dann lag sie vor
allem in dem Worte: Boden. Die Umgebung, die
Bedürfnisse und Forderungen der Mitmenschen
und ihre speziellen Neigungen, das waren die
Faktoren, die den abwechslungsreichen Boden
schufen, auf dem einst das Handwerk blühte.
Wir aber nähern uns immer mehr dem Zustande
der absoluten Gleichheit auf allen Gebieten und
kommen immer mehr zu einem Allerweltsge-
schmack, der natürlich gar keiner ist. Und daher
rührt unsere traurige Massenproduktion und
das rasche und sichere Dahinschwinden unseres
guten, alten Handwerks. Das muß immer und
immer wieder gesagt werden, damit sich alle
berufenen Stellen darüber klar werden, und damit
wenigstens alles geschieht, um das wenige
künstlerische Handwerk, das wir heute noch
haben, aus dem vernichtenden Strudel dieser
Zeit zu retten. Denn das Handwerk wird ewig
Dekorative Kunst. XXIV. 4/5. Jan./Febr. 1921
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