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Bau selbst erfolgte in verschiedenen Materialien;
durch ihr Nebeneinander wird eine gewisse
Lockerung der Baumasse erreicht, die dem
Werk das Schwebende, das gleichsam Unbeschwerte
des Aufstieges geben.
Die Backsteinbauteile sind mit weißem Putz
beworfen, oberbayerischer Tuff von leicht gelblicher
Tönung und prächtiger Treuchtlinger
Marmor, der für die Plastik Verwendung fand,
vermitteln im farbigen Zusammenklang wie im
Wechsel des Oberflächencharakters einen ausgezeichneten
Gesamteindruck. Professor Julius
Seidler hat die vier Pfeiler der Zugänge, zu denen
man aus dem Grün des Rasens über fünf Stufen
hinaufsteigt, mit markigen Figuren geschmückt,
die karyatidenhaft wirken, indessen das Motiv
des Tragens nur leicht andeuten und in ganzer
Gestalt — feierlich und nicht plump-naturalistisch
, sondern sinnig stilisiert — aus dem Boden
herauswachsen. Vier Menschengestalten erschaut
man, sie symbolisieren die vier Lebensalter
: das Kind am Arm der Mutter, dem Körper,
von dem es das Naturgesetz losgerissen, wieder
eng sich schmiegend, die Jungfrau, hold erblüht,
bräutlich prangend und doch von keuscher
Herbheit, der eisengepanzerte, kraftgeschwellte,
harte Ritter, in dem der Mann auf der Höhe
des Lebens Erscheinung gewann, und endlich
der gebeugte Greis am Stabe, mild, weich, in
sich hineinsinnend, einer wehmütigen Abschiedsstimmung
hingegeben. Es sind Gestaltungen voll
eines hohen Ernstes, einer gefaßten Würde; ein
wundervoller Rhythmus, der keine Isolierung
der einzelnen Figuren zuläßt, sondern die eine an
die andere bindet und das vereinigende Element
der schweigenden Versammlung dieser Repräsentanten
der Menschheit in ihrem Gang durch
acht Jahrzehnte bildet, schwingt durch die
wohlberechneten Massen, die, dem Gesamtwerk
entsprechend, auf reliefhafte Wirkung gestellt
sind. Die Stimmung schwillt an, gipfelt im Gegenüber
und Nebeneinander der Jungfrau und
des Ritters, die einer Legende Gottfried Kellers
entstiegen sein könnten, und klingt melodisch
ab in der lassen Erscheinung des Alten. Dabei
mag immerhin jede Einzelgestalt auch für sich
betrachtet werden: sie dreht sich um ihre eigene
künstlerische Achse und ist als Einzelfigur kraftvoll
in sich zusammengefaßt.
Auch die Rückseiten der Pfeiler tragen plastischen
Schmuck; der indessen ist anderen
Charakters, mehr kunstgewerblich, dekorativornamental
, damit dem strengen figürlichen
Schmuck der Vorderseiten kein Eintrag geschehe
. Es sind in schlankem Aufbau, durch
mancherlei dekoratives Zierwerk verbunden, je
drei Zeichen des Tierkreises. Stofflich bildet
die Verwendung dieser Zeichen eine feine Weiterleitung
des Gedankens von Zeitflucht und
Vergänglichkeit, die mit den Gestalten der
Menschenalter angeschlagen wurde.
Die Gliederung der Rückwand, die, wie der
offene Vorbau, ihren oberen Abschluß durch
Schindeldeckung erfährt, geschieht durch eine
nischenartige Vertiefung, die von zwei gedrungenen
Säulen flankiert wird, und durch zwei in
die Wand vertiefte Vasen mit reicher plastischornamentaler
Umrahmung. Die stimmungsvolle
Betonung des baulichen Charakters war auch
hier in die Hand des Bildhauers gelegt, der
besonders mit der beherrschenden Gestalt in der
Nische sich den Absichten des Baukünstlers
feinsinnig anschmiegte. Straff und klar gliedert
die Plastik die Architektur. Verglichen mit den
Pfeilerfiguren ist die Nischengestalt, eine in
stiller, edler Trauer das Gedächtnis der Toten
ehrende Frauengestalt, gelöster, im Rhythmus
bewegter, in der Gesamtwirkung weicher und
freier, wohl auch etwas realistischer gestaltet.
Noch mancher fein erdachten und klug und
sinnvoll durchgeführten Einzelheit wäre zu gedenken
, Urnen und Schrifttafeln, Wappen und
Embleme in Bronzeguß erschaut man im Bezirk
der weihevollen Stätte, indessen ist es von
höherem Reiz, den Gesamteindruck in sich aufzusaugen
, sich des glücklichen Verhältnisses
der Massen, der Feinheiten, die die Überschneidungen
ergeben, zu erfreuen, vor allem
aber sich zu erbauen an dem Wechsel der
Stimmungen, den der Anblick der Gedächtnisstätte
von außen und andererseits der Blick
von innen nach außen darbieten: wie feierlichernst
ist in dem einen Fall die Stimmung, und
wie löst sie sich zu mildem, friedlichem Glanz
im anderen Fall! Der blaue Himmel droben
mit den ziehenden Wolken, die regen Wipfel,
das satte Grün des gepflegten Rasens, der Hinzutritt
der Kunst, das alles wirkt zusammen
zu einem Ganzen von überwältigender Schönheit
. G. J. Wolf
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