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TEEGESCHIRR IN SILBER GETRIEBEN □ ENTW.: JOS. HOFFMANN; AUSF.: WIENER WERKSTÄTTE, WIEN
vor den Gefahren des mutwilligen Einfalls, des
launigen Zierats und des höchst wandelbaren
Geschmackes aufs nachdrücklichste gewarnt hat.
Aber auf die Dauer ist eine solche Entwicklung
nicht durch eine einzelne, auch nicht durch die
stärkste Persönlichkeit zu bestimmen. Sie braucht
den Rückhalt an einer allgemeinen architektonischen
Gesinnung ihrer Umwelt. Und die fehlt
heute. Das wird keiner leugnen wollen. So
schwebt unser Kunsthandwerk wieder einmal in
der Luft. Und das ist die eine innere Krise, auf
welche die „Wiener Werkstätte" heute hindeutet.
Daneben gibt es auch eine andere, äußere
Krise. Auch sie betrifft — wie noch klar werden
soll — weniger die „Wiener Werkstätte"
als vielmehr das österreichische Kunsthandwerk.
Trotzdem sie gerade von ihr am deutlichsten
angezeigt wird. Gemeint ist die durch den Zusammenbruch
unseres Wirtschaftslebens zu einer
greifbaren Gefahr angewachsene Anfechtung
alles Handwerks durch Gewerbe, Industrie und
Handel. Erst während des Krieges ist merkwürdigerweise
auch die „Wiener Werkstätte"
ein Großunternehmen geworden. Die rein
handwerklichen Teile des Betriebes — z. B.
Metall und Leder — waren durch den Mangel
an Rohstoffen und geeigneten Arbeitskräften
aufs äußerste eingeschränkt oder völlig lahmgelegt
worden. So trat der farbig bedruckte
Kleiderstoff — und mit ihm die Kleidermode —
von selbst in den Vordergrund. Und dieser
Zweig entfaltete sich in den letzten Jahren bis
zum Umfang einer Großindustrie, die eine ihr
entsprechende Organisation der Arbeit und des
Handels nach sich zog; heute beherrscht er
den Export und Umsatz des Unternehmens und
verfügt allein in Wien über zwei besondere,
lebhafte Niederlassungen, während die dritte
— dem Kunsthandwerk im engeren Sinne gewidmet
— ein verhältnismäßig stilles Dasein
führt. Diese Entwicklung war eine Notwendigkeit
. Die Werkstätte zog bloß die rationelle
Folgerung aus den von der Zeit gegebenen Umständen
. Und es wird ihr daraus auch kein
Vorwurf gemacht, sondern bloß die Tatsache
festgestellt.
Nun weiß man ja, daß gerade der Kleiderstoff
im Kunsthandwerk eine höchst heikle Rolle
spielt, die sich aus seiner zwiespältigen Natur
erklärt. Der Künstler ist hier Entwerfer nur
für das erste Stück, das übrige nimmt die
Maschine auf sich, die den Stoff in ungemessenen
Mengen webt und mit dem Muster ohne Ende
bedruckt. Schon der Entwurf beschränkt sich
aber auf die Wahl der Grundfärbung und den
leichten Flächenschmuck, hält sich also in jener
niedrigeren Schicht der Künstlertätigkeit, in der
der Geschmack den Ausschlag gibt. Die Ausführung
wird dem Handwerk gänzlich abgenommen
und der Industrie überlassen. Das
alles läßt den Kleiderstoff als ein Grenzgebiet
von minderem Kunstwerte erscheinen.
Dekorative Kunst. XXIV. n, August 1921
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