Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 45. Band.1922
Seite: 36
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_45_1922/0054
PAUL HERRMANNS RADIERZYKLUS „SALOME"*)

Oskar Wilde hat aus den wenigen Sätzen
des Markusevangeliums, in denen von der
bestrickend schönen Judenprinzessin Salome geschrieben
steht, die sich von ihrem Stiefvater,
dem Vierfürsten Herodes, das Haupt des Johannes
ertanzt, eine Dichtung voll prickelnden
Reizes herauskristallisiert. Ein wollüstig-grausames
und in seiner Verliebtheit und Triebhaftigkeit
dennoch fast kindhaftes junges Weib
ist vor den Hintergrund einer zuchtlosen Niedergangszeit
gestellt. Der asketische Heilige, der
dieser Zeit Fehde ansagt, in die Zukunft weist
und, seiner Mission völlig hingegeben, in strenger
Selbstzucht alle irdische Lust und Salomes
Liebe von sich weist, muß um dieses Verschmähens
willen sterben. Ein schwacher, ver-
buhlter Fürst gibt den herzensgenialen Täufer
preis. Wie ein spukhaftes Trauerspiel ist das,
voll der Steigerungen ins Farbige, Exotische,
Überladen-Prunkvolle. Schwüle Stimmungen
schwingen durch die überhitzte Atmosphäre:
Alles drängt ins Musikalische hinaus. Richard
Strauß ergriff begierig den Stoff, und es entstand
ein musikalisches Drama, in dem sich, wie
nicht leicht in einem zweiten Tonwerk unserer
Zeit, eben unsere Zeit selbst spiegelt in ihrer
Verwandtschaft mit jenen fernen Tagen, da
der Genuß regierte, aber in gleicher Stunde,
mit der Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit
der Kontrasterscheinung, das Evangelium der
Entsagung an Türen und Herzen pochte, wie
es heute aufs neue der Fall ist.

Aus Wildes Schöpfung heraus erwuchs eine
neue: Der Radierzyklus „Salome", den Paul
Herrmann soeben vollendete. Daß sich der
Münchner Malerradierer gerade zu diesem Werk
und seinem Ideenkreis hingezogen fühlte, ist
nicht zuletzt menschlichen Verbindungen mit
Wilde zuzuschreiben. Den unglücklichen Wilde
lernte er in Paris in den Zeiten seines tiefsten
Falles kennen und war einer der paar Männer,
die hinter seinem Sarge schritten, als man diesen
einst Glanzvollen zur letzten Ruhe trug.

Die Salome der Bibel ist bei Meistern bildender
Kunst in alter und neuer Zeit oft Gegenstand
der Gestaltung gewesen. Manche einprägsame
Ausformung des Stoffes haftet in der Er-

*) Paul Herrmann, Salome. Sechs Kaltnadelarbeiten. 25Exem-
plare auf kaiserl. Handjapan, 100 Exemplare auf holländisch
Bütten. München, F. Bruckmann A.-G.

innerung. Indessen hat Herrmanns Salome mit
diesen nur wenig Berührung und äußere Verbindungen
, und diese bleiben an der Oberfläche.
Denn Herrmann machte nicht die Salome der
Bibel, die hinter ihrer Mutter Herodias zurücktritt
, zur Heldin seines Werkes, sondern die
Salome Wildes. Nicht als ob er Gesichte der
Bühne graphisch ausgeformt hätte. Im Gegenteil
: Alles Theatralische ist aufs peinlichste vermieden
. Aberin der heißen, schwülen Stimmung,
in den prickelnden Situationen verknüpfen den
Griffelkünstler Bande der Gemeinsamkeit mit
dem Dichter. Heißes, dramatisches Leben pulst
durch die sechs Blätter des Radierzyklus, starke
Kontraste des Lichtes und der Schatten, hier
ins Schwarz-Weiß vergeistigt, sind gestaltet.
Hat Herrmann sich bei früheren graphischen
Zyklen auf das Symbolische eingestellt, so tritt
diesmal in höherem Grade das Gegenständliche
und Tatsächliche, das Dramatische in Erscheinung
. In dem Hauptblatt, dem Tanz der Salome,
ist ein Bacchanal gestaltet, in dem Dyonisi-
sches und Apollinisches ineinanderfließen; das
vermittelt stärkste Eindrücke, die einen nicht
mehr loslassen. Aber auch in den Blättern,
die weniger auf Reichtum und Fülle gestellt
sind, spricht ein hohes künstlerisches Ingenium,
das über das Bildkompositionelle hinaus sich
in feinsten seelischen Verbindungen auswirkt.
Es erübrigt, bei einem Künstler von der Wesensart
Herrmanns beizufügen, daß er mit seinen
Salomeradierungen nicht irgendwie Illustrationen
gibt. Jedes einzelne Blatt ist eine
Steigerung über Dichtung und Tonwerk hinaus
in die Bezirke des absolut Bildkünstlerischen.
Musterhaft ist das Technische der Blätter.
Großformatig sind sie, und doch ist nirgends
eine flaue Stelle, alles erfüllt der Künstler mit
Bewegung, mit zuckendem Leben und das, ohne
ängstlich jedes Papiereckchen zu füllen und aus-
zutüpfeln. Der improvisationshafte Charakter,
der zum Wesen der Radierung als zeichnende
Kunst gehört, ist festgehalten. Man verspürt
die Größe der Auffassung, kongenial der des
Dichters und des Komponisten in der Größe
der Formgebung. Es ist Herrmanns prächtigste
zyklische Schöpfung, ein vorläufiger Abschluß,
das Werk eines Meisters auf der Höhe seines

Könnens. T , „, ir

Georg Jacob Wolf

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