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ETRUSKISCHE MALEREI
Endlich ist es Ereignis geworden : eine Publikation
über die Wandmalerei der Etrusker liegt
vor uns*), und nun es geschehen, fragt man sich,
wie es nur so lange hat dauern können, bis die
Wissenschaft dieses gewichtigen Stoffes sich bemächtigte
, um ihn mit entschlossenem Griff in das
helle Licht zu rücken, das ihm gebührt. Immer
wieder erhob sich die Klage, daß die große Malerei
des Altertums, — man meinte dabei freilich die
griechische, — restlos verschwunden sei, und
dabei leuchtet es auf den Wänden der unterirdischen
Grabgemächer Etruriens auf von einer Welt
von Farben und Formen, die uns mit starken und
tiefen Eindrücken einer Monumentalmalerei großen
Stiles und großer Zeit umfängt. Dokumente sind
es des Kunstwollens einer künstlerisch hochbegabten
Rasse, die in ihrem triebhaften Schaffen viel
zu wenig gewürdigt ist, demselben ungehemmten
Triebe schon im Altertum nachgebend, der in uns
näher gerückten Zeiten noch einmal, in Florenz,
mit so elementarer Gewalt ausbrach: Etruriens
bodenständige, künstlerische Kraft, der Muttererde
entsteigender, nach Ausdruck drängender Geist,
der in der Grabmalerei des sechsten und späterer
vorchristlicher Jahrhunderte seine erste Inkarnation
gefunden hat.
Es sind Tausende von etruskischen Gräbern
aufgedeckt worden, aber nur ein kleiner Teil von
ihnen, etwa siebzig, sind mit Wandmalereien ausgestattet
, Beweis genug, daß man schon zur Zeit
ihrer Entstehung einer solchen Dekoration einen
besonderen und auszeichnenden Wert beimaß.
Die Veröffentlichung dieser Denkmäler ist bisher
bis auf wenige Ausnahmen in ganz unzureichender
Weise erfolgt und nicht zur Kenntnis weiterer
interessierter, besonders künstlerischer Kreise
gelangt. Diesem Mangel wird durch die vorliegende
Publikation Weeges gründlich abgeholfen.
Auf 97 Tafeln werden nach originalen photographischen
Aufnahmen die Wandmalereien der Gräber
von Corneto, — auf sie ist der vorliegende erste
Band beschränkt, dem weitere folgen sollen, —
in vortrefflich gelungenen Lichtdrucken vorgelegt,
die endlich einen klaren Einblick in das Wesen
*) Fritz Weege, Etruskische Malerei. Mit 89 Textabbildungen
und 101 Tafeln. Halle a. S., Max Niemeyer Verlag.
und Wollen der etruskischen Malerei eröffnen.
In langen, friesartigen Kompositionen die Wände
der Grabkammern überziehend, erscheinen in der
älteren Zeit vorwiegend Bilder vom seligen Leben
im Jenseits, die später von Schilderungen des
Grausens in der Unterwelt abgelöst werden. Mit
starker Kraft wird der Beschauer in den Sinn
dieser Bilderwelt hineingezogen und von der
seligen oder grausigen Stimmung umfangen. Von
stärkster Wirkung sind die Reigentänze der Mädchen
und Jünglinge, die den zum Schmause gelagerten
Toten umkreisen, ein wundervolles Spiel
gelöster, schwingender Bewegungen, in eine große
klare Linie eingefangen, die den Ausdruckswillen
und die Ausdruckskraft dieser Kunst zu einem
großen Erlebnis werden läßt. Die Füllung der
Fläche, der Rhythmus ihrer Aufteilung durch die
aufgesetzten Figuren, der ruhig große Stil dieser
und ihre klare Flächenwirkung zeugen von einer
Sicherheit des Gefühls für die Forderungen der
Wandmalerei, die auf eine lange geübte und in
die Breite gehende Betätigung dieser auch in der
Umgebung der Lebenden schließen lassen und das
Wirken der Etrusker auf diesem Felde für unsere
heutige, so vielfach auf Lücken stoßende Beobachtung
zu einer seltenen Erscheinung im Umkreise
der antiken Kunst in deren Blütezeit stempeln.
Der den Tafeln beigegebene Text verzichtet
auf eine Einzelbeschreibung und Erklärung der
Bilder, ist vielmehr auf eine Synthese der etruskischen
Kultur eingestellt, um aus ihrer Umwelt
heraus das Phänomen der Monumentalmalerei
mit eigenem Glänze aufleuchten zu lassen. Es
gelingt dem Verfasser, aus Wissen und Schauen
ein Etruskertum in greifbarer Prägung abzuzeichnen
, das besondere Geistige, das in ihm sich betätigt
und in seiner Kunst Ausdruck gefunden
hat, bloßzulegen, die Seele des an diesen Kreis
Herantretenden in eine Erregung zu versetzen,
die sie zur Aufnahme des Gebotenen begierig und
empfänglich macht. Und wenn dann die Augen
über die Bildtafeln gleiten, so quillt es aus diesen
auf von den eingebundenen Lebensregungen und
wie diese sich ihre Ausdrucksform getrieben
haben. Die etruskische Malkunst ist auf die
Füße gestellt; man wird von ihr in der Geschichte
der Malerei künftig mit nachdrücklichen Worten
zu reden haben und reden können. P. Herrmann
PAUL
HERRMANN
BADENDE
(ZWEIFARBIGE
RADIERUNG)
Verlag F. Bruckmann
A.-G.,
München
40
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