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dem sich kaum durch den Rahmen bändigen
läßt, letzter, bildlicher Ausdruck eines Einfalls,
der primär Musik, d. h. tönend bewegtes Leben
gewesen ist. Neben und zwischen den Arbeiten
auf diesen Hauptgebieten hat Emmy Lischke
dann auch zahlreiche Blumenstilleben, am liebsten
solche mit Rosen oder mit sehr bunten
Gartenblumen, gemalt; und daß diese im besten
Sinne des Wortes dekorativen Bilder stark und
frisch wirken, danken sie ohne Zweifel hauptsächlich
dem Umstand, daß sie nur Zwischenspiele
und nicht Erzeugnisse einer das Blumenmalen
als ausschließliches Metier treibenden
Künstlerin sind. Übrigens läßt sich gerade an
diesen Stilleben mühelos der Wandlungsprozeß
nachweisen, den Emmy Lischke in den letzten
Jahren durchgemacht und der vom Impressionismus
zum Stilismus geführt hat.
Es ist sehr wohl möglich, daß jemand, der
unvorbereitet Arbeiten Emmy Lischkes, etwa
ihren mächtigen Meerbildern oder den großen
dekorativen Waldstücken, sich gegenübersieht,
auf den Gedanken kommt, dies alles könne
nur ein Mann gemalt haben; denn diese Kraft
des Pinselstrichs, dieses Temperament
und diese Fähigkeit
der Konzentration scheinen spezifisch
männliche Eigenschaften
zu sein. Und die Tatsache, daß
doch eine Frau die Schöpferin
dieser Bilder ist, müßte dann
eigentlich, im Verfolg des eingangs
aufgestellten Axioms, zur
Ablehnung der Kunst Emmy
Lischkes führen. Aber es kann
dem aufmerksamen Beobachter
nicht entgehen, daß etwas in
ihren Bildern ist, das sich nicht
ohne weiteres erklären läßt, etwas
, das eine Männerhand unmöglich
gerade so auszudrücken
vermöchte. Und man wird allmählich
begreifen lernen, daß
Emmy Lischke jener Kategorie
von Malerinnen angehört, die
das von Männern Gefundene
weiblich variieren und so etwas
relativ Neues schaffen. Es soll
zugegeben sein, daß solche
Dinge, so wenig sie wägbar
sind, sich auch nicht mit Worten
, weder in Kürze noch ausführlich
, beweisen lassen, sondern
daß sie immer mehr oder
weniger Gefühlssache bleiben.
Aber wer die Sinne für solche
Erk enntnisse hat, der wird finden
, daß Emmy Lischke den emmy lischke
Impressionismus in der u. a. von Liebermann
geschaffenen „klassischen" Form in einer Weise
ausgedeutet hat, wie das eben nur einer Frau möglich
ist. Es ist unzweifelhaft, daß in dieser Tätigkeit
, ganz abgesehen von dem künstlerischen Wert
der Arbeit Emmy Lischkes, auch ein historisches
Verdienst gefunden werden kann. Ich weiß,
daß man Frauen nur in den allerseltensten
Fällen derartiges zugesteht. Aber Emmy Lischke
ist so ein Fall. Man wird nicht ohne weiteres
daran vorbeikommen. Richard Braungart
GEDANKEN ÜBER KUNST
Der weise Mann, welcher den Spruch aufstellte:
„Über Geschmack läßt sich nicht streiten" war ein
Egoist. Er wollte sich die törichten Stunden ersparen,
die man vergeudet, wenn man mit Schwerhörigen
über Musik rechten muß.
Aber aller Egoismus rächt sich. Hinter dem Schutzwall
dieses Spruches diktieren nunmehr die Schwerhörigen
im Reiche der bildenden Kunst ungestört ihre
Musikansichten der ganzen Welt.
Fritz Schumacher
rosen
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