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OSKAR GRAF
kreis der sichtbaren Natur und Kunst abhängig
beschränkte sich Grafs Künstlertum im
allgemeinen darauf, Bilder der Wirklichkeit in
einer ernsten schwerflüssigen Ausdrucksform
wiederzugeben, war doch noch während des
Weltkrieges sein graphisches Schaffen durch
die elementaren Erlebnisse beherrscht, die er
als Kriegsmaler auf den verschiedenen Schauplätzen
künstlerisch zu verarbeiten hatte.
Wohl in unbewußter Reaktion gegen die
Übersättigung mit den zermürbenden Eindrücken
grauenvoller Realität, die dort jahrelang
auf ihn einstürmten, ist in den letzten
Zeiten in seinem künstlerischen Wirken mehr
der Zug erstarkt, innerlich Erschautes in freigestaltender
Phantasie fest zu halten und so
den Darstellungsbereich seiner Kunst auch
nach der gedanklichen Seite zu erweitern und
zu vertiefen. Kam diese Neigung schon vereinzelt
in launigen kleinen Gelegenheitsarbeiten,
die Oskar Graf nach altem schönen Brauche
für künstlerische Veranstaltungen beizusteuern
oder als Neujahrsgrüße seinen Bekannten zu
widmen pflegt, sowie in dem unverkennbaren
Bestreben zum Ausdruck, durch reiche, frei
erfundene Staffagen seine Architekturen aus
ihrer strengen Sachlichkeit in die Sphäre frisch-
RADIERUNGEN ZU GOETHES TOTENTANZ
pulsierenden Lebens zu heben, so darf das im
vorigen Jahre unternommene kühne Unterfangen
, Goethes Faust-Dichtungen (I. und
II. Teil) in einem groß angelegten Zyklus bildlich
zu gestalten als der erste bedeutungsvolle
Schritt in das Gebiet des Geistigen gelten, der,
mit bewundernswerter Energie durchgeführt,
seiner schöpferischen Tätigkeit eine neue, Gutes
verheißende Richtung gab. Seit jener denkwürdigen
szenischen Neubelebung des ersten
Teiles im Münchener Künstlertheater unter
Fritz Erlers feinsinniger Leitung bis herauf
zur Inszenierung des Goetheschen Urfaust an
gleicher Stelle hat das Faustproblem nie aufgehört
, die bildenden Künstler zu immer neuen
Versuchen anzuregen, kein Wunder, daß auch
Grafs Verbildlichungen noch manche Anklänge
an die bühnenmäßige Bildentfaltung wahrnehmen
lassen.
Ganz frei und nur den eigenen Eingebungen
folgend zeigt sich seine Gestaltungskraft erst
in den beiden jüngsten Radierungsfolgen, denen
gleichfalls Dichtungen von Goethe zugrunde
liegen, die Balladen: „Der Totentanz" und
„Hochzeitslied". Nach Eugen Neureuther, dessen
im Jahre 1829 erschienene lithographierte „Randzeichnungen
zu Goethes Balladen und Roman-
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