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FRANZ NAAGER
OSTERIA
und genrehafter, heiliger und unheiliger Thematik
vor den Blick und in die Aufgabe des
Künstlers kamen, wie es der Tag mit sich
brachte. In Naagers Kunst ist aber nichts
sentimental Nachhängerisches. Die motivlichen
Anregungen und Nachklänge hängen nicht von
bestimmten imitatorischen Aufgaben ab, sondern
sie lassen sich mit der Freiheit und Sicherheit
der leicht abstimmbaren künstlerischen Mittel
von einem versierten und auf historischem
Boden inspirierten, wahlverwandten Gefühl abfangen
und verwandeln. Gold, Silber, eine
schimmernde Oxidierung in den durcheinander
spielenden Tönen, dazu eine kräftige, naturgrüne
, dann wieder eine altersgraue oder vergilbte
Farbe, ein Hintergrund von szenischer
Bedeutung und entmaterialisierte Luft baut
sich zusammen, ein Rahmen für ein flüchtiges
Agieren oder ein geschichtliches Wandelbild;
mit wenigen Strichen ist die Komposition gespannt
und mit ihren Figuren belebt und erhält
ihre erzählende Bedeutung. So entsteht
dann eine novellenhafte Abbreviatur oder ein
Auftritt im weiträumigen Schein der großszenischen
Bedeutung, und auch die Pikanterie
der Detailszenen findet sich auf den großen
Bildern ebenfalls oft, ähnlich wie auf den intimeren
, z. B. „Zattere-Venedig"; es bildet sich
ein Ausschnitt in einem Winkel zur Seite im
Vordergrund oder sonst in einer Blickführung,
die an die Art der Bildkompositionen im Rokoko
erinnert.
Naagers Bilder leben im deutlichen Nachhall
dieser früheren Welt, wobei es sich jedoch
weder im einzelnen noch auch in den Gesamtbildern
trotz ihres starken gegenständlichen
Einschlags und formalen Rokokoesprits um
mühsame Imitationen handelt; schon die freie
künstlerische Beweglichkeit der Sprache und
der Motive spricht dagegen. Aber die Bilder
beschäftigen den Betrachter durch eine ausgesprochene
Folgerichtigkeit der künstlerischen
Verhältnisse und Werte in dieser Richtung.
Eine ganze Anzahl von Eigenschaften des
Rokokoempfindens lassen sich in ihnen, wie in
einem Spiegel verkleinert und wirklich gesehen
durch ein einzelnes Temperament, erkennen und
zu einer Psychologie des dekorativen Stils und
des milieuhaften, im Kultursediment beruhigten
Schaffens zusammenstellen. Schon der enge
Zusammenhang zwischen dem großen repräsentativen
Zug und der Freude an der handwerklichen
Betätigung gehört hierher; überhaupt
die Freude, formale und inhaltliche Erfindung
in eins fließen zu lassen und im flüchtigen
Um- und Aufriß davon zu erzählen. Auch das
historische Theater, die Lust zur Maskerade,
zur Vermummung, die hohen Räume, in denen
sich der Aufzug des Geschehens erzählen läßt
und auf eine bewegliche und flüchtige Begebenheit
fast mit einer gewissen festlichen Ironie
zusammenschmilzt, wogegen sich einzelne Typen,
abenteuerliches Volk mit pervertiertem Heroismus
als unbekümmerte, zigeunernde Lebens-
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