Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 49. Band.1924
Seite: 42
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RICHARD SEEWALD

TOSKANA (1920)

den Individualitäten und dem verwirrten Chor
der unharmonischen Stimmen, und voll Sehnsucht
sahen wir zurück auf die Zeiten, die
einen gemeinsamen Stil hatten, und mit der
Abkehr vom Individuellen kam gleichzeitig der
Wunsch nach einem Allgemeinen, und das
wurde richtig im Religiösen gefunden.

Aber nun ging erst recht der Hexensabbat
los; denn das Religiöse an sich gibt es nicht,
und jedes Individuum stürzte sich, unterstützt,
„freigemacht" durch die in unserer Zeit so verbreitete
Bildung, auf irgendeine jener Epochen
oder Kulturen, die zwar wie alle Epochen,
wenn auch manchmal negativ, doch noch besonders
stark den Stempel von ihrer Beziehung
zum Religiösen an der Stirn trugen.

So sahen wir nacheinander Mode werden:
die Gotik, die Neger, die Ostasiaten usw. Aber
die ganz Klugen gingen hin, um eine neue Religion
zu schaffen oder, da diesem Wort doch
etwas Verdächtiges anhaftet, eine neue Mystik,
die nun die neue große abstrakte Kunst schaffen
sollte.

Sie sind noch an der Arbeit, haben im Staatlichen
Bauhaus ihre Kunstzentrale und erlassen

Manifeste, in denen sie Gott abschaffen, und
sind nicht einmal klug genug, zu sehen, daß
dieser Witz — denn vor Gott ist es einer —
schon so alt ist, daß er kein Lachen mehr auslöst
, keinen Ärger, nur Langeweile.

Dies taten die ganz Klugen, aber ihnen sind
jetzt wieder die ganz Schlauen übergeworden.
Die haben erkannt, daß es ist, wie es ist, nämlich
, daß es allmählich langweilig ist, immerzu
die Berge kreißen zu sehen und nichts als Mäuse
geboren, und sie erkennen „die Forderung des
Tages", daß man nämlich ein Bild verstehen
will, und daß man das nur kann — wenigstens
die meisten, die ehrlich genug sind —, wenn
man erkennt, was darauf dargestellt ist: also
haben sie „die neue Gegenständlichkeit" proklamiert
, die zwischen der Sensation auf Blech
gemalter Panoptikumbilder und der süßlichen
Fadheit eines neuen Klassizismus hilflos hin
und her schwankt.

Nun ist sie also da, die Ehrfurcht vor dem
Gegenstand, die mir so sehr am Herzen liegt,
Jedermann kann erkennen, was auf den Leinwänden
dargestellt ist: Menschen und Tiere,
Pflanzen und Häuser. Aber warum bin ich nicht

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