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AKADEMIE UND KUNSTGEVYERBESCHULE
In ganz Deutschland hat sich, in der Hauptsache
aus wirtschaftlicher Not geboren, eine
Bewegung ausgebreitet, die zunächst nur als
Maßnahme der staatlichen Unterrichtsverwaltung
erscheinen könnte, nämlich die Verbindung
von Akademie und Kunstgewerbeschule
zu einer erzieherischen Einheit. Sieht man
näher zu, so handelt es sich um einen tiefeinschneidenden
und stark auswirkenden Eingriff
in den Aufbau unserer Kunsterziehung. Wir
haben in der Angelegenheit die Meinung einiger
hervorragender Künstler eingeholt und können
heute folgende Antworten veröffentlichen.
Fritz E r 1 e r
Es ist freilich sehr einfach, wie es in Berlin
geschah, durch einen amtlichen Federstrich
und mit Hilfe eines wackeren Möbelspediteurs
Hochschule und Kunstgewerbeschule äußerlich
zusammenzufegen und mit großen Schlagworten
wie „Einheitsschule, ars una" usw. in
Zeitungen und schöngeistigen Zeitschriften zu
operieren. Aber es ist sehr oberflächlich. Bei
dieser räumlichen Zusammenlegung oder Pferchung
kommt nicht viel mehr heraus als eine
Art Verkunstgewerblichung der Hochschule
und Akademisierung der Kunstgewerbeschule,
was in der titelhörigen öffentlichen Meinung,
soweit sie sich überhaupt heute dafür interessiert,
jene herabsetzt und diese hebt. Daß die dabei
Herabgesetzten hörbar murren, ist natürlich,
daß die Gehobenen ganz stiife sind, ist diplomatisch
, daß der preußische Landtag den Kunst-
fra gen verständnislos gegenübersteht, üblich.
Bei einer derartig versuchten „Lösung" wird
der Kern des Problems „Kirnst und Handwerk"
gar nicht berührt, es findet nur eine dekorative
Umgruppierung, eine kaleidoskopartige Schiebung
statt, die ein neues Bild, aber kein neues
Wesen ergibt, einstweilen, bis das Experiment
andersherum wiederholt wird. Cui bono?
Die beliebten Diskussionen über Rangordnung
oderVorrang von Handwerk, angewandte Kunst,
Kunsthandwerk, freie Kunst usw. sind völlig
müßig und unfruchtbar, mindestens für die,
welche in dem einen oder anderen ihrer Natur
nach zum Hervorbringen befähigt oder gedrängt
sind. Sie wollen nämlich etwas.Gründliches und
Positives erlernen und müssen es um so nötiger,
je mehr ihre Begabung, ihr Wille und äußere
Umstände sie auf die Beherrschung des widerspenstigen
Materials hinweisen. Und mit diesen
zahlreicheren hat es Stadt und Staat vornehmlich
als Erzieher zu tun und kann heute keine
ästhetischen Experimente machen. Dem Staate
kann nichts daran gelegen sein, und er ist mit
seinen Mitteln auch unfähig dazu, einige wenige
hochgezüchtete Spitzenleistungen, wenn sie nun
gar geschmäckf erischer Natur sind, zu erzielen,
sondern er wird seine Sorge vor allem der
breiten Masse zuwenden müssen. Er gleicht
sonst einem sonderlichen Gärtner, welcher köstliche
Kellersellerie für einige Feinschmecker
kultiviert und den wertvollen Freilandgarten
achtlos verwildern läßt, obgleich man Bohnen,
Erbsen und Rüben für viele benötigt.
Eine singulare Begabung, wie Olaf Gulbranson
zum Beispiel, genialer Autodidakt, braucht nur
ein verkohltes Zündholz und einen Fetzen Papier
, um ein wirkliches rundes Kunstwerk von
allgemeiner Gültigkeit hervorzuzaubern. Er hat
mit dem Handwerk, das die Erfahrungen langer
Generationen darstellt, gar nichts zu tun mid
kann der Werkstattlehre leicht entraten. Ja, es
ist fraglich, ob sie ihn gefördert hätte. Dieselbe
Gesinnung auf viele Tausende von mittelmäßigen
, wenn überhaupt begabten Schmieden, Dekorationsmalern
, Druckern, Webern, Buchbindern
, Schnitzern, Metallarbeitern usw. anwenden
zu wollen, deren Lebenslos nicht vom genialen
Einfall, sondern in vielfältiger Abstufung von
ihrem handwerklichen Können abhängt, sollte
für Stadt und Staat indiskutabel sein. Es wird
aber diskutabel, wenn man weiß, daß Olaf, um
bei dem Beispiel zu bleiben, ausgerechnet an
der Münchener Kunstgewerbeschule als Lehrer
bestellt wurde, oder daß umgekehrt in Berlin
trotz des Widers trebens der Einsichtigen vom
preußischen Ministerium ein Lehrer für Maltechnik
angestellt wurde, der aber sogleich nach
dem „rückständigen" München beurlaubt werden
mußte, um sich von Meister Doerner in die
Geheimnisse des unumgänglichen Leims, der
verdächtigen Firnisse, Balsame und Öle erst einweihen
zu lassen.
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