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FORTSCHRITT UND TRADITION IN DER MALEREI
Zwei große Kräftebiindel sind da, im sozialen
und kulturellen Leben überhaupt, in der
Kunst im besonderen: die Kräfte der Bewegung
und die Kräfte des Beharrens. Fortschritt und
Tradition können wir sie im Falle der Kunst
nennen. Das Bestreben, alles in Fluß zu halten,
alles Erfühlte und Erlebte zu bewegen, kaum zu
Form gerinnen zu lassen, sondern in flüchtiger,
oft vor sich selbst fliehender, knappster, skizzenhafter
Niederschrift nur anzudeuten, das ist das
eine. Auf der anderen Seite aber sehen wir
gründliches Eingehen auf die Form und langsames
Aufbauen mit häufigen Rückblicken auf
Vergangenes, das die Verehrung pietätvoll umschlingt
.
Unter der jüngeren Generation der deutschen
Maler ist diese Gruppe der Zahl nach die weitaus
schwächere. Dies ist schade, aber begreiflich
. Indessen fehlt es nicht an Zeichen, daß eines
Tages die vorwärts hastende Bewegung stiller
werden, sich verlangsamen wird. Vielleicht erkennt
man dann besser als heute, daß die Wahrung
derTradition eine Notwendigkeit im großen
Haushalt der Kunst und daß die Vereinigung
von Fortschritt und Tradition in Malerei und
Plastik keine Unmöglichkeit ist. An sich ist der
Drang der Jugend nach Evolution und selbst zur
Revolution durchaus verständlich. Man braucht
gar nicht an den Goetheschen Most, der sich
absurd gebärdet, zu denken. Der Fall liegt einfacher
. Es ist unverkennbar, daß der Zeitgeist —
und der Geist unserer Zeit ist nicht beharrend,
sondern wild bewegt, auflösend, umstürzlerisch,
drängend, er reißt an ehrwürdiger Tradition —
in der jungen Generation wirksam ist, viel wirksamer
als bei den Gereiften, denn die Jugend
tritt unbeschwerter von Überlegungen mid Erlebnissen
auf den Plan der Gegenwart als die
Alteren, denen Vergleichsmomente zur Verfügung
stehen. Daher kommt es, daß die Jugend,
in der der Zeitgeist wirkt, mehr dem Fortschritt
zugetan ist als der Tradition. Dieser an sich
natürliche Zustand erfährt indessen dadurch eine
Komplizierung, daß gewisse an sich sicherlich
l>ie Kunst für Alle. XXXX. 7. April 1915
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