Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 51. Band.1925
Seite: 284
(PDF, 97 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_51_1925/0346
heiten, FJügel, Bank und Haar, schließen das
Bild nach drei Seiten hin ab und konzentrieren
das Interesse auf den mittleren Ton, den durchsichtigen
Schatten, der im Kopf am reichsten
gegliedert ist. Die Mittel, mit denen hier das
Spiel der Schatten und Reflexe gegeben ist,
scheinen rätselhaft einfach, es ist scheinbar nur
immer der eine Strich. Bei näherem Zusehen
erkennt man, wie durch Zwischensetzen
von kurzen Strichen, die parallel oder in spitzem
Winkel zu den Hauptstrichen gezogen sind, die
Wirkung erreicht wurde. Durch helle mit der
kalten Nadel gezogene Striche an Wange, Arm
und Kleid sind Ubergänge geschaffen. Mit größtem
Raffinement sind die paar harten spitzigen
Striche in den Notenblättern über dem schweren
Schwarz des Flügels gegen den großen weichen
Schatten der Gestalt ausgespielt.
Es gibt eine große Reihe von solchen Porträts.
Mit spielender Leichtigkeit ist das Charakteristische
gegeben, mit großem Geschmack ist es
in die umgebenden großen Strichlagen eingebaut
, das Bildnis des Königs Oskar wäre zu
nennen oder Eni est Renan, V erlaine, besonders
das Blatt Frau Simon, das durch den „Pan"
bekannt wurde. Eine zweite Domäne besitzt
Zorn in seinen Aktradierungen.
Das „Erste Sitzung" (Abb. S. 283) genannte
Blatt ist eine Art Gegenstück zu der Klavierspielerin
. Thema: eine helle Figur vor einem
dunklen Hintergrund und zwar ist beabsichtigt,
die Figur so plastisch wie möglich zu machen,
ohne daß die Erscheinung, hell vor dunkel, darunter
leidet. Um die Figur vom Hintergrund
zu lösen, stehen die Striche senkrecht zum Kontur
, um die Härte zu mildern, die bei der konsequenten
Anwendung dieses Mittels sich ergeben
würde, fließen rings um den Kontur die ihn
begleitenden Striche. Um die Figur so rund
wie möglich zu machen, ist der Reflex so hoch
im Ton genommen, daß er als zweites Licht gilt.
Die Modellierung ist sehr allgemein. Wenn man
den merkwürdigen langen Strichen entlang geht,
die den tiefsten Schatten, etwa auf Ober- und
Unterschenkel, darstellen, so sieht man, Zorns
Formbesitz ist nicht eben groß, aber erwersteht
ihn glänzend in Szene zu setzen. Was wir an
Form in unserem Blatt sehen, ist trivial. Nicht

in dem Sinne wie man oft fälschlich Rem-
brandts Akte trivial nennt, weil sie die Natur
ohne jede Milderung wiedergeben, sondern im
Sinne von unbetont, ja ausdruckslos. Er gibt
nur das, was der Laie in dei Natur zu sehen gewohnt
ist und er gibt es in einer sehr witzigen
Weise. Das Stoffliche des Wassers, des Grases,
des Laubes gibt in seinem Gegensatz zum Körper
den Reiz dieser Blätter. Koepping und viele
andere haben dergleichen auch versucht, Zorn
ist ihnen weit überlegen, weil er mit viel einfacheren
Mitteln auskommt. Er verliert nie
den meßbaren Strich, jenes eigentliche Lebenselement
der Radierung, wenn er ihm auch das
Eigenleben nimmt. Und hier stehen wir wohl
an der Grenze nicht nur seiner Graphik, sondern
der Graphik seiner Zeit, die sich zu sehr
an die Malerei verloren hatte. Die Radierung
wurde ein Ersatz für Bilder und Bilder ein Ersatz
für Natur.

Radierung ist Kammermusik, sie steht zwischen
Zeichnung und Malerei, beiden verwandt, aber
auch von beiden geschieden. Weder die auf
Metall statt auf'Papier gebrachten Zeichnungen
sind schon Radierungen, noch sind es die ins
Schwarzweiß übersetzten Bilder. Zorn ging als
Radierer vom Bild aus und zwar von einer derben
, dekorativ gestimmten Malerei und kam
nicht bis zur Zeichnung. In dem oben reproduzierten
Selbstbildnis sieht man ordentlich das
Bedauern, daß der Farbklex auf der Palette nicht
mit dem Zinnober aufgetragen werden konnte,
den man aus Zorns Bildern kennt, und die Hand
mit der Zigarette ist keine graphische Darstellung
einer Hand, sondern nachgemachte Malerei
. Aus den Tonwellen hätte sich im Lauf
der Entwicklung die führende Stimme der Linie
erheben müssen, wie man sie nach einem Blatt
wie dem der Dame am Klavier eigentlich erwarten
möchte.

Unsere Zeit hat den Wert und die Ausdruckskraft
der Linie wieder erkannt und sucht von
ihr aus einen graphischen Stil zu entwickeln,
also von der entgegengesetzten Seite aus. Das
gibt dem Werke Zorns die Stelle am Ende einer
Entwicklung, seine Bravour, und virtuoser Glanz
verträgt sich gut mit dieser Stelle.

A. Schirmerer

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