Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 51. Band.1925
Seite: 286
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GRAF LEOPOLD VON KALCKREUTH

ZUM 70. GEBURTSTAG DES MALERS AM 15. MAI 1925

Umschwung und Umwertung sind in diesen
Jahren derart gewesen, daß der Gegenwartsbetäubte
angesichts eines Jubilars von siebzig
Jahren den Kopf schüttel t und fragt, ob denn
sein Werk noch lebe. Mit dem alten Reich ist so
vieles von seiner Gesittung, Kultur, Kunst bloß
Geschichte, ja fast Archäologie geworden. Der
Graf Kalckreuth, der lange, vom Vertrauen
der Malersecessionen getragen, Vorstand des
Deutschen Kiinstlerbundes war, ist der um eine
geringe Zeitspamie jüngere Mitstreiter Max Liebermanns
gewesen; mit Liebermann zusammen
von Alfred Lichtwark hauptsächlich berufen,
die „prominenten" Hamburger Persönlichkeiten
und das Besondere der Hamburger Landschaft
künstlerisch zu prägen, ist er heute in der
Hamburger Kunsthalle am reichlichsten und eindrucksamsten
vertreten. Als Bildnis- wie als
Landschaftsmaler hat er sich dort sein Denkmal
errichtet und auch unter dem Nachfolger
Lichtwarks, Gustav Pauli, ungestört einen ganzen
Saal für sich behalten. Die anderen deutschen
Museen, zumal wo er als Professor an
den Akademien gelehrt hat, Karlsruhe und
Stuttgart, pflegen wenigstens seine Hand zu
weisen. Der Bauer, der auf dem Ackergaul am
Abend heimreitet, fast verloren in die endlosen
Furchen der braunen Erde, mit den weißdichten
Wolkenballen, die über den dunkeln Flächen
glänzen, bleibt bei jedem Besucher der Karlsruher
Sammlung haften. In der Galerie am
Königsplatz in München hängt ein kleines Format
von Kalckreuth, aber sicher eine der Perlen
der Sammlung, der blumenreiche Heidegarten
, den sich der Künstler, als er seine Amter
aufgab, am Rand der Lüneburger Heide zwei
Stunden von Hamburg anlegte, dicht neben dem
Häuschen, das Lichtwark am Wochenende zu
bewohnen pflegte. Mit magischem Zauber ballen
sich aus dem Heidedunst die Formen und Töne,
und vorn schreitet, vom Rücken gesehen, die
Frau des Künstlers mit dem kleinen Kind an
der Hand, in das Bild hinein.
Das Geschlecht, das gegen 1880 jung war, stand
unter den beiden künstlerischen Voraussetzungen
des Naturalismus und des Freilichtes. Auf

Farbe war es nicht eingestellt. Auch Leibi und
seine Freunde und Jünger hielten sich nach 1870
auf feingrauer und bräunlicher Tongrundlage.
Das Pleinair vollends im Kampf gegen Werkstatt
- und Galerieton hatte mit seinem Studium
des nüchternen Tageslichtes die Farben entfärbt
. Kalckreuths Prozession im Regen war ein
Beispiel solcher malerischen Zeitlichkeit. Indessen
Dauerwerte und Persönlichkeitswerte,
die Jubiläen rechtfertigen, fragen weniger nach
dem zeitlich Bedingten als nach dem Uberzeitlichen
, das Geltung bewahrt. Von dem wechselnd
europäisch Modischen muß sich uns ein
Deutsch-Besonderes und Charakteristisches abzweigen
, das uns zur Verehrung stimmt.
Als vor wenigen Jahren der Neubau des Städel-
schen Instituts in Frankfurt eröffnet wurde, fand
sich Liebermann zwischen die französischen Impressionisten
gehängt. Es war ein lehrreicher
Fehlgriff, der seitdem gutgemacht worden ist.
Ein deutscher Maler kann sein Leben lang Ma-
nets Spargelbündel bewundern und rühmen.
Hängt man aber Liebermami neben Manet und
Monet und Renoir, so würde ein Ahnungsloser,
der die geringere Schönheit des Vortrags bemerkt
, glauben, minderwertige Franzosen zu
sehen. Erst weim man die Deutschen hinausbringt
und unter sich sieht, stößt man auf die
„Schönheiten" und Sonderwerte.
Die Ahrenleserinnen von Millet kennt jeder.
Als es entstand, galt es der Pariser Kunstmeinung
wegen des Gegenstandes, der Darstellung
der Enterbten, als ein revolutionäres Bild und
außer dem Zusammenhang der klassizistischen
Uberlieferung. Dennoch steht das Bild innerhalb
der französischen Überlieferung. Aus der
Pose der Figuren sieht Poussin hervor. Eine
Ährenleserin vom Grafen Kalckreuth sieht ganz
anders aus. Mager, dürr und eckig, fast gotisch,
steilt sich da ein junges Mädchen über den Horizont
des braunen Feldes. In dem verlorenen
Profil des Kopfes ruht ein Schimmer von den
jugendlichen Illusionen dieses Alters, die auch
bäuerliche Menschen beglücken. Keine von den
vielen Bauerngestalten, die Kalckreuth gemalt
hat, gibt es, der Seele und Sonderart fehlte.

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