http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_52_1925/0155
AUCH. B.D.A. PROF. C. JÄGER UND P. BIRKENHOLZ
LANDHAUS GRAF LARISCH. OBERE DIELE
in ihrer Regelmäßigkeit; lie zeigt den wildeften
ßaukaftenftil und neuerdings wieder den ödeften
kaftcnbaultil, Giebel- und Walmdächer durcheinander
; lie ift weder bürgerlich noch geiftlich,
noch fonitwie iozial ausgeprägt, denn, liehe, hinter
jenen funfgefchofugen FaHaden mit den Pa-
laftmotiven wohnt der kleine und kleinlie Mann.
Maske alles und Fratze dazu.
Der Werdegang der Stadt im ig. Jahrhundert
durch den Klaffizismus (und den Biedermeier)
hindurch war aber der, daß die exakte Form
als eine noch automatifch weiterwirkende Funk
tion der vorher lebendigen regelmäßigen Stadt-
gründung beibehalten blieb, daß aber unterdeffen
das Wachfen und zwar das wildefte Wachfen
begonnen hatte. So war die ftrenge Form,, der
vorher ein wenn auch vielleicht künftlich aufgepumptes
Leben Inhalt gegeben hatte, leeres
Schema, Unredlichkeit geworden.
Die Erlöfung vom Schema, ich meine die von
Camillo Sitte eingeleitete Bewegung, brachte,
wie das fo der Lauf der Dinge ift, zunächft nicht
viel Gutes. Dem geiftlofen Schematismus folgt
eine fcflellofe Ungebundenheit, denn noch immer
betrachtetmanin ftarrerHypnofedie äußere
Form, ftatt ihr Agens, das wechfelvolle Leben,
zu erf orfchen. Man fchwelgte in Unregelmäßigkeiten
, in willkürlich gekrümmten Straßen, in
Ecken und Eckchen. Mir ift aus dem perfön-
liehen Verkehr mit Sitte bekannt, daß er mit
diefer Wendung der Dinge nicht einverftanden
war. Ich fage, das ift der Lauf der Welt, und
deshalb ift die FeiTel noch nicht das Wünschenswerte
, weil, wenn lie gebrochen wird, • der Ent-
felTelte fich nicht fofort in vernünftigen Erwägungen
der geregelten Form erinnert, ohne die
gemeinfames menfehliches Tun nicht möglich
ift. Die vernünftige Erwägung braucht Zeit;
und in unferem Fall fcheint heute noch nicht
in das allgemeine Bewußtfein übergegangen zu
fein, daß die ftrenge Form des Städtebaues, wenn
man lie hypothetifch einmal als die Gipfelform
auf Hellen will, nur der gegründeten Stadt zukommt
, ohne daß, wie wir fahen, umgekehrt
die gegründete notwendig regelmäßig fein muß,
und daß die Form des Städtewerdens heute bis
auf beftimmte Ausnahmen ausgefprochener-
maßen die des Wachfens ift, für welche die
Dekorative Kunst. XXVIII. 5. Februar 1925
17
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_52_1925/0155