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Übertrumpfen muß es. Unter- oder Einordnen
wäre Schwäche gewefen. Man hatte doch das
Zeugnis der Baugewerkfchule oder gar der
Hochfchule in der Tafche. Dort war man mit
Motiven vollgepackt worden und man mußte
fie los werden. Die Bauherrfchaft ging mit, trieb
fogar an, und fo fteigerte einer den anderen in
den greulichen Raufeh hinein.
Dem folgte der Katzenjammer. Ein großes Be-
finnen geht durch das Land. Aber noch immer
lieht man die tieferen Zufammenhänge und
Notwendigkeiten nicht, fondern man klebt noch
an der Anrehauung, die eben feit der weifchen
Invafion um 1500 gang und gäbe ift, daß die
Form ein Gewand fei, das der Menfch je nach
der Mode und nach feiner Seelenverfalfung anlegen
könne. Und da man die hoffnungslos fchei-
nende Zerfahrenheit in diefen Dingen fah, fand
man, daß ein wenig Uniform das richtige Gewand
fei, um die Blöße zu decken, ein wenig
Uniform von Amtswegen.
In geiftvoller Weife hat der Nürnberger Stadtrat
, Herr Dr. Wagner-Speyer, einen folchen
Standpunkt vertreten; er hat ein nach Form und
Inhalt ganz vortreffliches Buch gefchrieben:
Grundlagen modellmäßigen Bauens, das fo lo-
gilch und erfchöpfend den Stoff behandelt, daß
man ßch nicht wundern darf, wenn nun der
Antrag der Vereinigung der technifchen Oberbeamten
der deutfehen Städte, das modellmäßige
Bauen einzuführen, von vielen Städten
angenommen werden wird.
Der Gedanke Wagners ift im wefentlichen der:
Aus den Zeiten der abfolutiftifchen Herrfchaft
im 17. und 18. und ausklingend im ig. Jahrhundert
haben wir Beifpiele von Baukunft-
fchöpfungen, die, trotzdem fie nicht einem einheitlichen
Baubedürfnis, fondern vielen folchen
BedürfniiTen entfprachen, doch nach einem einheitlichen
Bauplan ausgeführt worden find, der
von der Obrigkeit zwangsweife, oft gegen be-
fondere Vergünftigungen (Baugnaden) auferlegt
war. Während folche „Modellpläne" damals
auf Außeres und Inneres bis ins Einzelne des
Baues lieh bezogen, will Wagner nur in großen
Zügen UmriiTe, Höhen, etwa auch ftiliftifche
Haltung von Straßen- oder Platzwänden feft-
fegen, Einzelheiten aber und innere Einteilung
freilaflen. Die Modellpläne follen durch Bauämter
oder durch Konkurrenzen befchafft werden
. Es handelt lieh zmiächft um Baugelände,
das die Stadt felbft bebaut (da ift es wohl felbft-
verftändlich!), dann um folches, das die Stadt
an einzelne verkauft, oder um Bauten mit Geld-
zulchüfieii, aber auch um privaten Belitz, für
den im Zufammenhang mit dem Ortsbauplan
folche Modellpläne hergeltellt und gefetzmäßig
feftgelegt werden follen.
Dies ift nun vortrefflich bis in alle Einzelheiten
und unzählige Möglichkeiten durchdacht — und
doch nach meiner Meinung ein Irrtum. Die
Grundeinftellung, daß wir nun endlich im Jahre
1917 zu der reinen Anfchauung der Dinge
dank „unferer neuzeitlichen ErkennhiiiTe" gelangt
leien, von der aus man die Kunft regieren
dürfe, ift nicht unbedenklich. Diefe Meinung
hat jede Anfchauung von lieh gehabt, die ich
in mehrfachem Wechfel fchon erlebt habe.
Der Vergleich mit dem Dutzend von Beifpielen
aus der Barockzeit ftimmt nicht. Dort find es
meift ein paar Straßen oder ein und der andere
Platz, die vortrefflich wirken in ihrer Gleichförmigkeit
. In Mannheim fchon ift der R eiz der
Sache in der 5. und 6. Straße verflogen. Was
darüber ift, ift von Ubef. In den meiften Fähen
ift es die Hand eines Architekten, die in einem
Zug fo eine Anlage durchführte und zu ftolzer
einheitlicher Wirkung brachte. Ein fo glückliches
Ereignis ift heute aber auch nicht aus-
gefchloffeii. Es fohlte fogar felbftverftändlich
fein bei Bauten eines Bauherrn, an einem Platz
zu einer Zeit. Mehr als hundert Beifpiele diefer
Art aus neuefter Zeit flehen zur Verfügung.
Viele davon find beller als jene alten Vorbilder,
denn fie machen keine Maskerade wie die meiften
von jenen. Erzählt man doch von einem
franzöfifchen Architekturplatz, daß der König
die Faffaden ringsum aufgehellt und es den
treuen Untertanen überlaufen habe, ihre Häufer
dahinter anzukleben. Wenn fo etwas ein abfo-
lutiftifcher Fürft des 18. Jahrhunderts tat, fo
war es Theater, gewiß! Aber es hatte Stil, war
berechtigt, denn feine ganze Wefensart war fo.
Wenn aber das Bauamt von Ixhaufen Ähnliches
tut, fo hat das keinen Stil.
Stil im Städtebau! Wenn ich eingangs behauptete
, wir hätten keinen, fo muß ich mich vielleicht
berichtigen. Man geht zu gern von der
Meinung aus, daß ein Stil immer etwas Schönes
fem müffe. Wie aber, wenn eine einheitliche
Fläßlichkeit zu finden wäre; dürfte das nicht
auch Stil heißen? Eine folche Einheit ift aber
doch nicht wegzuleugnen aus der Ph} liognomie
der modernen Stadt. Städtebaulich genommen
ift das eine noch zuerft zu erörtern: Es ift der
menfehfichen Natur eingeboren, daß fie das Ge-
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