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ordnete (nicht das Regelmäßige) als Grundbedingung
braucht, um überhaupt eine Vielheit
zu erfaflen, äfthetifch genießen zu können. Eine
Art rechtwinkligen Raffers für die ApperzejDtion
fcheint mir da irgendwo im Zentralorgan zu
fitzen. Nun ift es aber merkwürdig, daß viele
Häßlichkcilcn der neuen Städte mit den Uberecklöf
ungeiiundDiagonalachlen verbunden find.
Die Eckabfchrägungen waren aber baupolizeiliche
Forderung. Weiter! Das fogenannte offene
Baufyftem, wie es im \\ ürttembergifchen bis
zum äußerften fich ausgebildet hat, ift eine der
modernen Form typen im Städtebau. Man wird
mir zugeben, eine der verheerendften Das ift
Produkt der Baupolizei. Weiter! Die Mißver-
hältnüTe in den Einzelbauten, die uns, wenig-
ftens den „Geometrifchen" unter uns, widerwärtig
auffallen, find fie wirklich alle freie Ent-
fchließung des Architekten? Ift nicht die Flöhe
der Faffade, das Maß der Dachaufbauten, Ausladung
und Breite von Erkern und manches
andere angegeben. Freilich könnte der Architekt
für fich unter dielen Maßen bleiben, aber der
Bauherr will und der Baumeifier muß die letzte
gegebene Möglichkeit ausnützen; der Bau wächft
von felbft in die von der Baupolizei gegebenen
Flöchflmaße. Sollten wir am Ende einen Stil
der Baupolizei haben?!
Es ift doch beffer, dabei nicht lange zu verweilen,
fondern das fcheint mir der Schlüffel alles Tuns
in diefen Dingen zu fein, daß es ehrlich fei, daß
es nichts darzuftellen fucht, was nicht da ift.
Ich fage zum Städtebau : Sei der du bift! Und
wenn du hundert Härten und Disharmonien in
den Kauf nehmen mußt. Wir müfTen durch,
von Grund aus uns erff wieder den Sinn für
die großen Einheiten erwerben, uns difzipli-
nieren zur Zusammenarbeit für die Stadtbau-
kunlt. Aber fie wird, die Stadtbaukunft. Laßt
ihr doch Zeit und meßt nicht nach euerer kurzlebigen
Einficht! Y\ ir find auf dem Weg, einheitliche
Bautypen zu erarbeiten; diktierte Einheitlichkeit
wräre gerade jetzt der Reif in der
Friihlingsnacht.
Nie hat es einen einheitlichen Städteftil gegeben
und zu allen Zeiten werden wir svachfende und
zu gründende Städte haben. Es darf aber nicht
der Willkür der einzelnen oder der Behörde
anheimfallen zu entfeheiden, ob diefe oder jene
Form anzuwenden fei. In der Sache liegt die
Entfcheidung. Die regelmäßige Form gehört
dem Schaffen unter einheitlichem Willen auf
einheitlichem Boden in einem Zeilmaß; die
freie Form ift Sache der demokratischen Vielheit
, die das V^efen unterer Städte heule nun
einmal ausmacht. Die regelmäßige Form kann
ftreng oder weniger ftreng aufgefaßt werden;
das liegt im Willen deffen, der zu entfeheiden
hat oder der Zeit. Die freie Form ift nicht
Willkür, fondern fie fei eine organifche, inner
lieh geordnete Form, die ebenfo wie die regelmäßige
den großen Gefetzen der Einheit durch
Unter- und Uberordnung, durch Gegenfälze
und Ähnlichkeiten unterworfen ift. Ein Ge-
fchlecht, das weniger in immer neu fich ablö-
fenden und fich reaktionär aufhebenden Meinungen
befangen ift, wird erkennen, daß die
Regelmäßigkeit an fich im Stadl bau zw ar imponierende
Wirkungen hervorbringt, daß aber
daneben noch höhere künftlerifche \\ irkungen
geboren werden können aus jener Freiheit
heraus, die in der Perfönlichkeit verwurzelt ift,
die ohne im geringfien regelwidrig zu fein, die
Regel nur tiefer, innerlicher packt als die ro-
manifche Formkunft. Das wird dann diedeutl ehe
Stadtbaukunft fein.
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