http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_52_1925/0222
GLOSSEN
\LTE UND NEUE KUNST
Als einmal im Münchner Glaspalast die Hänge-
l_ kommission der Secession am Werk war,
fiel es einem Mitglied dieser Körperschaft ein,
aus dem Saal der Kopien einige gute Arbeiten
herüberzuliolen und versuchsweise zwischen den
Gemälden zeitgenössischer Produktion au ( zu
hängen. Er hat später darüber erzählt, daß die
\ \ irkung „sehr merkwürdig" und für die Bilder
der Maler von heute nicht gerade schmeichelhaft
gewesen sei. Dies, meinte der Künstler, hat mich
auf den Gedanken gebracht, daß man als Maler
eigentlich immer ein sehr gutes altes Bild um
sich haben müßte, um den Wert oder Unwert
seiner eigenen Arbeit zu erkennen und daran
zu messen. Im Gegensatz zu dieser Meinung
glaube ich nicht, daß man in der alten Kunst
nur ein Mittel zum Zweck der zeitgenössischen
Kunstproduktion erblicken darf. Alte Kunst,
soviel besser, inniger und lebensvoller als die
heutige, kann beanspruchen, „an sich", um ihrer
selbst willen, geliebt und verehrt zu werden.
Trotzdem hat der Gedanke, alte und neue Kunst
nebeneinander vorzuweisen, etwas sehr Bestechendes
. Vor allem, um so etwas wie besinnliche
Einkehr zu erwecken. Es kann weder denen,
die man die „laüdatores temporis acti" nennt,
noch denen, die sich von den Schöpfungen der
Gegenwart, soferne sie nur ein wenig von der
akademischen Schablone abweichen, mit entrüsteter
Gebärde wegwenden
, schaden, wenn sie sich
mit alter Kunst beschäftigen.
Vor Tizians „Dornenkrö-
nung" und vor den Bildern
Frans Hals' wird man zu
manchem malerischen Problem
unserer eigenen Zeil
eine neue Einstellung gewinnen
. Verständnis dämmert
auf, daß es einem Küns tler er-
I au bt sein muß,sein Ingenium
regellos, vielleicht sogar regelwidrig
auszuleben. Andererseits
aber ist der Sinn für
Maßhalten und für Würde
gerade bei den Alten zu erlernen
. Dies alles gilt, ebenso
wie für die Schaffenden, auch
Für die Anschauenden. Was
sich in der rauhen Wirklich-
JAHRTAUSEND-AUSSTELLUNG.
DER RH UNLANDE
MAIJUNI KÖLN 1^2^ 1UUAUGUST
PIARATENTWURF VON K. HEUSER
(1. Preis)
keit der Museen schwerer ermöglichen läßt, das
\ermag die beweglichere V\ elt der Reproduktion
. Darum denkt diese Zeitschrift, die zunächst
und zuvörderst dem Kunstschaffen unserer eigenen
Zeit gewidmet ist, daran, ab und zu zu
Vergleichen anzuregen, indem sie Werke der
alten Kunst der Produktion von heute benachbart
: z.B. die Charakterköpfe der deutschen Gotik
den Bildnisbüsten eines Bleeker oder Edwin
Scharff, Bauwerke eines Schinkel den Hochhausbauten
dieser Zeit,venezianische Stadl bildereines
Carpaccio oder die biedermeierlichen W iener
und Berliner Ansichten den Stadtimpressionen
der Pariser von 1890 oder gar den Weltstadt -
phaiitasien gewisser deutscher Expressionisten.
Wer so das Nebeneinander von alter und neuer
Kunst sich durch das Medium des Auges dienstbar
macht, kann das Glück erleben, daß sich der
Vorhang, der den ^Verdegang unserer Kultur
verhüllt, plötzlich vor ihm hebt und vor seinen
Blicken ein neuer Kosmos emporsteigt.
DAS KÖLNER AUSSTELLUNGSPLAKAT
Is muß wohl in dem veralteten Wettbewerbs-
s3^stem liegen oder in der Tatsache, daß
sich eine Jury, die über ein Preisausschreiben
zu Gericht sitzt, am leichtesten und ehesten auf
das Charakterlose, auf das Unpersönliche einigt,
daß wir für die heutigen deutschen Ausstellungen
kein überragendes Plaka t mehr erhielten. Gibt ein
von äußererBeurleiluiigundBeeinflussungunab-
hängiger Industrieller oder
Kaufmann einem Plaka t -
k ii nstler einen Auftrag, so
wird meistens etwas Gutes
daraus. Sitzt aber ein ganzes
Preisgericht beisammen und
hat z. B. über den kulturell so
unendlich viel wichtigeren
Entwurf einesPlakates für die
Kölner Jahrtausend-Ausstellung
zu entscheiden, so
greift es ganz gewiß herzhaft
daneben. Diesmal wie immer.
Manmuß doch wohl glauben,
daß unter 4oo eingereichten
Entwürfen sich Bedeutenderes
hätte finden lassen müssen
. Oder aber es zeigt sich
wieder, daß sich das Prinzip
der allgemeinen W ettbe-
werbe überlebt hat.
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