http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_52_1925/0321
LUDWIG KUNSTMANN
In Hamburgs Straßen begegnet man einer
Reihe von Plastiken, die sofort als Verwandte
zu erkennen sind.
Von solcher ausgesprochenen Eigenwilligkeit
sind sie, daß jedem die Vaterschaft eines Künstlers
unverkennbar ist.
Ihr Vater ist Ludwig Kunstmann.
Das ihnen gemeinsame Merkma] ist der ungewöhnliche
Ernst, mit dem sie dastehen. Dieser
Ernst liegt ganz in der hamburgischen Atmosphäre
tief drinnen und geht doch über ihn
hinaus als ein heiliger, aufs Letzte gerichteter
Ernst. Die Begegnung mit einer dieser Plastiken
, mitten im geschäftigen Hasten und Treiben
des Werktags, irgendwo auf der Straße, an
einer Hausecke oder in der Schalterhalle einer
Bank, ist ein Herausgerissenwerden aus der An-
gespanntheit des Lebenskampfes, eine Mahnung
zur Selbstbesinnung.
Kunstmanns Arbeiten haben eine solche starke,
lebendige Wirkung, weil sie immer über die
Darstellung der Erscheinungswelt hinausgehen
und inhaltlich doch bedeutungsvoll sind. Das
ist das Ungewöhnliche für heute, wo es nur inhaltloses
, ornamentales Garnieren oder allegorische
Statuen in der Architekturplastik gibt.
Kunstmanns Arbeiten wollen nicht dies oder
jenes darstellen. Sie sind keine Abbildungen.
Sie sind sichtbar gemachte Begriffe: nicht verständlich
durch gedankliche Symbole, sondern
durch den Ausdruck der Körper selbst. Weil
alles Zufällige, einmalig Charakterisierende abgestreift
und nur das Bleibende, Allgemeine
auf die einfachste, letztmögliche Form gebracht
und doch immer noch die Lebendigkeit —
Erregtheit oder Ruhe — der arbeitenden, hauenden
, schnitzenden oder knetenden Hand spürbar
ist — deshalb ist die Ausdruckskraft seiner
Plastik so ungeheuerlich.
Und deshalb sind alle seine Plastiken monumental
. Diese Monumentalität ist ganz unabhängig
von ihrer tatsächlichen Größe. Die Verhältnisse
sind immer — schon in der kleinsten
Tonskizze — mächtige. Immer schließen sie
sich zu einem gehaltenen, einfachen Umriß zusammen
. Alle seine Plastiken bauen sich wie
nach architektonischen Gesetzen auf. Sie sind
ganz körperhafte Plastik. Und doch wirken sie
architektonisch. Einmal: weil das Gefüge der
Teile und Glieder so konstruktiv, zum andern:
der Aufbau derselben so statisch gefühlt ist.
L. KUNSTMANN-HAMBURG / DEKORATIVE PLASTIK
AM BALLINHAUS IN HAMBURG
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