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die folgenschwerere. Doch etliches kann man
schon jetzt übersehen.
Zunächst die fatale Entdeckung, daß der menschliche
Körper, — vielleicht ist mit Einschränkung
zu sagen: der Körper des Europäers — der wahren
Plastik fremd, vielleicht nur entfremdet ist.
Für den Konstruktivismus auf der Bühne ist er
unverwendbar, er macht den (imaginären) Raum
sich nicht gefügig. Ob unser Akteur daraufhin
mal dressiert werden wird, erscheint mehr als
zweifelhaft. Wer von Geburt es nicht „in sich
hat", der wird durch Drill es nur sehr äußerlich
schaffen.
Der ganze Konstruktivismus auf der Bühne
hat sich schließlich als Sackgasse erwiesen und
man merkt die Sehnsucht nach Rückkehr, Befreiung
. Und ob die sehr wertvollen Lehren
dieser großen Bewegung in einen neuen Realismus
mit hinübergenommen werden, auch dies
erscheint noch zweifelhaft.
Sehr lehrreich war das Gastspiel eines Wiener
Theaters mit der „Franziska" in Berlin.
Es war eine Ubersicht über alle Leistungen
sämtlicher Theaterreformaloren, Wsewolod,
Maierhold, Wachtangow, Tairow, die Theaterkonstruktionen
der Wesnin, Jakulow, Rabino-
witsch und all der andern waren aufgebaut, ja
die Lichteffekte des Picabia zu seinem „Re-
lache" waren „ver"wendet, Jazz-Band betäubte
die Ohren im Wettstreit mit Thau-
wowahu auf der Bühne, tote Mannequins
und Masken waren angefahren, die Nachahmungswut
feierte ihre Orgien, ja eine splitter-
nackichte Schauspielerin spielte mit (wie ahnungslos
muß man sein, um nicht zu begreifen,
daß die Nacktheit absolut un theatralisch ist, wie
unmöglich sie sich in die Architektur der „Konstruktion
" fügt!), Tänze waren eingelegt. Und
durch diesen ganzen protzig überladenen Apparat
wurde das Einzige, was all die Vorbilder zu
erreichen suchten, nicht erreicht, nicht einmal
verslanden: Rhythmus. (Daß niemand von der
Kritik dieses Fazit gezogen hat!!)
Mit diesem einzig wichtigen Wort „Rhythmus"
kommen wir auf Bakst zurück.
Wie gesagt, Bakst war für das Theater geboi-en.
Seine Luft zu atmen, daraus zu arbeiten,
sie zu modeln wie der Impressionist das
Sonnenlicht, war ihm Freude. Er empfand
die Theaterbeleuchtung, und als wäre er selber
der Tänzer, empfand dessen Körper. Trotz
seiner Kultur, trotz seines Geschmacks, trotz
seiner Herkunft von der Graphik empfand er
die Bühne und die Agierenden ursinnlich,
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