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tierhaft, quasi mit seinem ganzen schweren,
männlichen, gütigen Körper. Das Entscheidende
ist schließlich nicht, ob man sich zu
dieser oder jener Richtung bekennt, sondern
ob man die betreffende Kunst auch wirklich bis
in die Fingerspitzen, ob man sie gewissermaßen
fleischlich empfindet. Das heißt, ob man echt
und wahr von ihr durchdrungen war.
Gewiß, so viele von Baksts Figurinen erscheinen
uns, als Bildchen genommen, nunmehr allzu
plausibel. Wir haben uns, sozusagen, sattgesehen
an ihnen. Jedoch an dieser Ubersättigung tragen
, wie so oft, die zahllosen Nachahmungen
die hauptsächlichste Schuld. Seine Manier war
nur allzu verlockend. Eine Armee von Kunstgewerben
männlichen, weiblichen und halben
Geschlechts stürzte sich auf ihn. Gott, wenn
man bedenkt, daß ein Jahrzehnt hindurch für die
Kostüme all der Kostümfeste Berlins und sonstwo
in Deutschland der „Carneval" und die
„Scheherezade" von Bakst herhalten mußten!
Das war wirklich zu viel, für uns und für
Bakst! All diese unplatonischen Verehrer und
Erben der Bakstschen Kunst haben mehr oder
weniger redlich dazu beigetragen, daß man
seine Manier „überwand". Die mit soviel bewußtem
Orientalismus, die mit so sicherer handwerklicher
Kalligraphie, mit soviel Verliebtheit,
Freudigkeit und Schönheitsdurst, die mit so
leuchtenden Farben und stels neuschbpferisch
und stilrein gezierten Ornamente, die von so
gesunder Sinnlichkeit und Freude an runden
Formen atmenden Aquarelle, die soviel Freude
gespendet, — diese Bakstschen Werke haben
seine Aufgabe erfüllt und sind mit ihm in die
Historie hinübergeschlummert. Jedoch nur diese
„äußeren" Dokumente seines Schaffens.
Was am Kubismus und an der neuen Kunst
von Wert war, das hat Bakst als einer der ersten
erkannt, ja gefordert. Er war einer der
ersten, die Picassos Bedeutung erfaßt, er war
der erste, der Chagalls Kunst gewürdigt (er war
auch sein Lehrer). Archipenko und Modigliani
hat er erworben, als noch niemand diese Künstler
ernst genommen. Nur in seiner eigenen
Arbeit blieb er sich treu.
Allzugut hat er nur selber empfunden und gewußt
, daß es nicht auf Forderungen und Theorien
auf dem Theater ankommt, sondern auf die
Verwendbarkeit des Materials, d. h. der Akteure
. Er wußte, was aus ihnen herauszuschlagen
ist, er sah ein, daß sie den höchsten Ausdruck
im Tanz erreichten.
Seine starke Empfindung der Körperlichkeit,
des plastischen Elements, gepaart mit seiner
Musikalität, mit der sichern Ausdrucksfähigkeit
für Rhythmus, das war das starke Fundament,
das Skelett und Rückgrat seines Schaffens. Und
hier liegen seine Berührungspunkte, hier vereint
sich sein Weg mit dem der neuesten
Theaterkunst.
Pawel Barchan
5°
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