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EIN UNBEKANNTES FRAUENBILDNIS VON WILHELM LEIBL
In dem Gesamtwerk von WiJlielm Leibi, dem
Maler, fehlen einige Bilder. Man weiß von
ihnen durch alle Nachrichten, aus Briefen und
Aufzeichnungen, ohne daß es bisher in jedem
Falle gelungen wäre, sie im Original nachzuweisen
. Besonders aus der reifen Akademiezeit
und aus dem Jahre des Pariser Aufenthaltes ist
einiges unbekannt. —
Unter den wenigen seit Erscheinen des großen
Leibl-Kataloges (1913) wieder aufgetauchten
echten Bildern von Leibi nimmt das hier veröffentlichte
eine Sonderstellung ein: Es gehört
nach seinem ganzen Habitus in die Pariser Zeit
und ist nicht etwa, wie die meisten anderen
inzwischen aufgetauchten Werke, eine flüchtige
Studie, sondern ein fertiges Bild. Schon die
Signatur in der Ecke unten rechts stempelt es
hierzu, denn man weiß, daß Leibi freiwillig nur
Dinge signierte, die er selbst als vollendet ansah.
Ein Damenbildnis in künstlerischem Aufputz,
fast lebensgroß (die Maße sind: 55 cm hoch und
45 V2 cm breit). Eine Harmonie in Perlgrau
und Bunt. Vor tiefschwarzem, auf mahagonibrauner
Untermalung fest hingestrichenem Hintergründe
hebt sich das Brustbild leuchtend ab.
Die Dargestellte trägt ein Kleid aus hell perlgrauem
Stolf mit einem weißen Brusteinsatz,
auf dem aschblonden Haar einen weißen Tüllhut
mit schwarzem Band und einem bunten
Kranz darum herum. Der mattgelbe Fleisch ton
ist durch die rehbraunen Augen und einen
Mund von dunkelkorallem Rosa gewärmt, so
daß er gegen den bunten Kranz nicht allzubleich
erscheint: Grün, erbsengrün und gelblichgrüne
Blätter, rechts oben ein Blatt von
leuchtendem Kanariengelb, dazu eine korallen-
rosa Rose. Die vom Hut herabhängenden Ranken
weißgelb, mit einigen rosa und mahagoniroten
Schatten. Das Ganze in dieser Harmonie
von Grau, Weiß und Schwarz, überall durchbrochen
mit hell bunten Akzenten von einer
erstaunlichen Noblesse. Die Malerei leicht und
fest zugleich, logisch und solide im Gesicht
modelliert, die Lichter, besonders in den Augen
und um die Augen herum, gespritzt; die Pinselarbeit
offen, aber nirgends fleckig, mit kurzem
Borstenpinsel den Formen des Gesichts nachgefühlt
, und auf dem Nasenrücken mit quergesetzten
.Höhungen.
Auf den ersten Blick wirkt das Bild, durch die
Eleganz der Erscheinung, für Leibi etwas ungewöhnlich
, aber gerade deshalb ist es besonders
kostbar und für den, der Leibi kennt, ist es ein
vollkommen sicheres Werk. Es ist einzureihen
in die Pariser Zeit und ist wahrscheinlich in
Paris selbst entstanden, denn es steht in der
Mitte zwischen den berühmten Frauenbildern
jener Jahre, dem Bildnis der Frau Gedon, mit
dem Leibi auf der Münchner Internationalen
Ausstellung Anno 1869 einen so durchschlagenden
Erfolg hatte, und den beiden Bildnissen
seiner Nichte Lina, in denen er nach der Rückkehr
aus Paris, 1871, seine französischen Eindrücke
verarbeitete. Nicht mehr ganz so fest
und rund modelliert wie Frau Gedon und noch
nicht so flächig wie das helle Kniebild der
Nichte Lina. Dieses im Jahre 1871 entstandene,
auf Grau, Weiß und Rosa gestellt, bedeutet
die äußerste Grenze dessen, was Leibi in seiner
Auseinandersetzung mit dem Französischen,
mit dem Manethaften, wagen durfte, ohne sich
zu verlieren. Aber, daß dieser Einfluß des
Manethaften nach dem Pariser Aufenthalt
stärker ist als während dieses Aufenthaltes,
braucht nicht zu überraschen. Wirklich bedeutende
Anregungen in der Kunst wirken fast
nie blitzartig und augenblicklich, sondern meistens
erst nach einiger Zeit.
Leibis Aufenthalt in Paris war verhältnismäßig
kurz; er dauerte nicht ganz ein Jahr und wurde
durch den Ausbruch des deutsch-französischen
Krieges vorzeitig abgebrochen. Der Künstler
muß damals sehr fleißig gewesen sein. Die vollkommen
fertige „Kokotte" und die unfertige
„Alte Pariserin" sind damals entstanden, ein
Genrebild „Der Hirtenknabe" und einige höchst
vollendete Bildnisse von Freunden. Auch der
sogenannte „Revolutionsheld", sichtlich von
Frans Hals1 „Bohemienne" imLouvre inspiriert,
und wahrscheinlich auch noch die ersten Skizzen
zur „Tischgesellschaft". Dann muß auch
noch das Damenbildnis der Juliette Braun,
alias Madame de Laux, entstanden sein, deswegen
Leibi ja, auf die Einladung der Madame
de Laux und ihrer Freunde, überhaupt nach
Paris ging.
Dieses Bildnis, das er offenbar in den ersten
Monaten des Pariser Aufenthaltes gemacht hat,
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