http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0078
CARL SCHWALBACH
FLÜCHTLINGE
CARL SCHWALBACH
Als ich vor einem Jahrzehnt zum erstenmal
„ vor Carl Schwalbachs Bildern gestanden,
war mein erster Eindruck ein negativer. Ich
wandte mich, denn ich fühlte mich abgestoßen.
Und denn och, es war nicht wie beiso vielenDurch-
schnittserscheinungen, die man hoffnungslos ablehnen
muß, sondern es blieb der Wunsch, mich
mit der Technik und dem geistigen Ausdruck
dieses Malers in ihren Auswirkungen auseinanderzusetzen
. Ich wandte mich zurück, wieder
stand ich vor den Bildern. Noch war mir nicht
klar, warum ich weiter vor solcher Eigenwilligkeit
verweilen sollte, aus der eine merkwürdige
Farbe, ein formal so sonderbares Profil fremdartig
zu mir sprachen. Denn fremdartig war
die primäre Wirkung, wie von etwas ausgehend,
das man noch nie gesehen, aber dessen Erscheinen
ein fernes Erinnern im Unterbewußtsein
wachrief. Also mußten in und hinter diesen Bildern
geistige Werte, seelische Erscheinungen
stecken, die in uns schlummern, aus denen sie
erst in die Linie, in die Farbe, ins Körperhafte
umgesetzt wurden. Es dauerte geraume Zeit,
bis ich neue Werke des Malers zu Gesicht bekam
, aber unterdessen verdichteten sich die gebliebenen
Eindrücke, sie wandelten sich vom
ursprünglich Negativen ins fesselnde Positive,
namentlich, als ich eines Tages zufällig vor
Botticellis „Beweinung Christi" in der Münchner
Pinakothekstand. Hierund bei der Betrachtung
einer wertvollen Reproduktion seiner „Primavera
" fand ich, wenn auch äußerlich, den Schlüssel
zum Ursprung von Schwalbachs Schaffen:
die feine Gliederung der Fläche, die Kultur der
Linie, die, trotz auffallender Eigenpersönlichkeit
, gewisse formale Beziehungen zu demgroßen
Italiener vermuten ließen. Hierzu gehört auch
die ideale Komposition der nicht nur sichtbar,
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