http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0113
doch auf der Grabschrift „Milanese" — und
lange in Italien lebend, hat er als Hauptthema
seines Lebens sich den Vergleich der italienischen
und französischen Seele gestellt und sich
zugunsten Italiens ausgesprochen. Freilich meint
er das Italien der Renaissance und des Barock
, das er aus originalen Chroniken in seinen
Novellen so vielfach beschrieben und umschrieben
hat. Ich begreife z. B. nicht, wie man
einen Gobineau noch lesen kann, wenn man die
„Äbtissin von Castro" kennt. In der Tat haben
wir bei Stendhal die echte, glühende, skrupellose,
oder nicht herzlose Lebensfülle der Renaissance
, wenn auch stets in ihnen Feierstunden der
Liebe und des Hasses, der Morde und der Strickleitern
. Ich glaube, ich kann diese italienischen
Renaissancenovellen gut beurteilen; denn als ich
mein Buch über Truhenbilder schreiben wollte,
mußte ich monatelang italienische Novellen
jener Zeit durchlesen, in der Hoffnung, hier die
Deutung einiger Truhenbilder zu finden. Stendhal
hat ja zum Teil seine Novellen wörtlich
aus den Chroniken abgeschrieben, was er
gar nicht leugnet, sondern hervorhebt. Was er
mitbringt zur Kunst, ist vor allem ein unendlich
reiches Gefühl, innig und warm, nicht sen-
sualistisch wie bei den meisten Franzosen, sondern
seelisch weich und dabei doch genau be-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0113