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CARL PHILIPP FOHR
PROZESSION AUF DEM SALZBURGER FRIEDHOF
Kupferstichkabinett Dresden
obachtend; ferner trägt ihn die wunderbare
Kultur des französischen Rokoko, eine tiefe
Vertrautheit mit der antiken Welt, mit ihrer
My lliologie und allem, was Anschauung heißt —
während Plato z. B. selten erwähnt wird. Ferner
ist seine Belesenheit und seine Fähigkeit, entfernteste
Zitate stets bereit zu halten, fast so
groß wie bei Schopenhauer. Er ist vielleicht der
erste Franzose, der Shakespeares Größe ganz
erfaßt hat; aber darum kann er seinen Racine
doch auswendig. Stets wachen Geistes, immer
in der Debatte mit den Büchern, die er verschlingt
, von Liebesabenteuern erfüllt, bereichert
und belebt geht er an die bildende Kunst
mit der Frage heran: Was für ein Leben
entströmt diesen Bildern? Wir haben durch
WöhTlin gelernt, daß ein Bild vor allem ein
Bild sei und sein eigenes Gesetz des Wachstums
und der Struktur, der Bindung und Freiheit in
sich trage. Gut, das sind in der Tat wichtige
Dinge. Aber nicht die einzigen; ein Bild hat
auch Seele, Ausdruck, Bekenntnis und Eigenwillen
, es ist ein Kind seiner Zeit und Umwelt,
es ist ein Symptom, zu dem ein Riesenbezirk
gehört. So verstehen wir, daß für Stendhal die
„Umwelt" des Bildes und der kulturelle Eigen-
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