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REINHOLD NÄGELE
SELBSTBILDNIS 1910
REINHOLD NAGELE
In seinen Monologen schreibt Schleiermacher:
„Jeder Mensch soll auf eigene Art die Menschheit
darstellen, in einer eigenen Mischung ihrer
Elemente, damit auf jede Weise sie sich offenbare
und wirklich werde in der Fülle der Unendlichkeit
alles, was aus ihrem Schoß hervorgehen
kann." Auch eine der wichtigsten Bedingungen
, die den Wert eines Kunstwerks ausmachen
, ist menschliche Bedeutsamkeit. Dem
schaffenden Künstler erlöst sich die Seele zwar
vom Stofflichen und doch erfaßt sie es mit solcher
Kraft, daß sie dieses Stoffliche durchdringt
und zu neuer Gestalt erhebt. So ist jedem wirklich
künstlerischem Gebilde das Zeichen aufgeprägt
, daß es aus der Vision hervorgegangen ist,
und in dieser Weise erheben sich Kunstschöpfungen
über die Geburten der Nachahmung und
der Verworrenheit. Der Widerstand, den der
Stoff der Formwerdung entgegenstellt, muß
durch Nachhaltigkeit des ursprünglichen Erlebens
und durch Können überwunden werden.
Nur die Technik ist lehr- und lernbar, während
Den Alleinverkauf der Radierungen und Gemälde Reinhold
Nägeles hat das Kunsthaus L. Schaller-Stuttgart.
Kunst selbst immer Gnadenerlebnis bleibt. Die
äußere Gestalt des Schönen ist bedingt durch
ein Innerliches, Geistiges. Der Stil eines Künstlers
muß sich auf dem Wesen der Dinge aufbauen
und die sinngewordene Gestalt wird uns
zum Symbol, sobald die Dinge von dem Gesetz
künstlerischer Gestaltung durchdrungen sind.
Die eigentümliche künstlerische Schöpferkraft,
die in den Arbeiten Reinhold Nägeles zu erkennen
ist, zeigt sich in dieser Bewältigung des
Stoffes durch die Form, die von jedem guten
Künstler gefordert werden kann. In ihnen offenbart
sich ein Ubergewicht der Subjektivität über
die Objektivität, das Zeugnis dafür ist, daß die
Gewalt der eigenen inneren Richtung auf diesen
Künstler mehr Einfluß auszuüben vermag wie
der äußere Eindruck. Die unabsehbare, quellende
Fülle des Daseins ist hier von einem gestaltenden
Prinzip zusammengehalten. Je widerstrebender
die Materie ist, desto bedeutsamer
zeigt sich bei ihm die Fälligkeit der Gestaltung
von innen heraus. Das Schicksal liefert ihm
den Samen, den seine Seele aufnimmt und gebraucht
und wendet. Die Außendinge sind ihm
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