http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0135
liebt die Bunllieiten und Schönheiten der W elt
mit ihrem sonderbaren Wechsel. Seine geistige
Eigenwilligkeit läßt sich nie ins traditionell
Akademische umbiegen, sondern vielmehr ist
hier das Streben festzustellen, sich von allen
Konventionen freizuhalten und nach eigenem
W^ollen und Streben zu gestalten. Bald schöpft
Nägele aus dem Born der Natur, bald gibt er
das Treiben auf der Straße einer Großstadt
wieder — rätselhaft, bunt, allegorisch und vielleicht
manchmal auch zum Widerspruch herausfordernd
. Aber alle seine Arbeiten zeigen,
daß er scharf beobachtet und die Gesetze künstlerischen
Geslallcns niemals verleugnet. Er
schafft mit redlichem Fleiß, malt Figürliches
und Landschaftliches und greift zur Radiernadel
, um die Übung der Hand zu erhalten und
Probleme, die ihn erfüllen, festzuhalten. Uberall
schimmert das eigene Wesen des Künstlers
durch. Nur ein Schöpfer, der Einheit von
Mensch und Schicksal visionär erlebt, kann
Mensch und Schicksal und ihr Herauswachsen
aus einem Mittelpunkt gestalten. Diese Einheit
von Geist und Leben ist aller lebendigen Kunst
Voraussetzung und Merkmal.
Was Reinhold Nägele uns noch alles zu sagen
haben wird, läßt sich angesichts der unruhigen
Impulsivität seines Weesens nicht erraten. Er
ist jetzt ein Vierziger und eine reiche Entwicklung
liegt hinter ihm. Aber der Anstieg seiner
Kunst in den letzten Jahren beweist, daß noch
eine große Entwicklungsmöglichkeit vor ihm
liegt. Seine Schöpfungen lassen einen Lebensstrom
fühlen, der jede einzelne Leistung durch-
rauscht. Hier stehen wir vor etwas Lebendigem.
Still arbeitet der Künstler in redlichem Bemühen
daran, das Stoffliche und Charakteristische
unseres Daseins mit überlegener Sicherheit
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