http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0142
DIE WITWE
wendigen Abschweifungen in die transzendentalen
Gebiete der „inneren Linie" wieder einer
greifbaren Gegenständlichkeit zu, die ihre Akzente
aus der Erinnerung in die Erscheinung
verlegt.
Es ist eigentlich naturgemäß, daß der Ubergang
zu dieser Bewegung durch die Satiriker erfolgt;
sie, die vron vornherein auf die Mittel der Erscheinung
, der sichtbaren Naturwahrheit angewiesen
sind, weil die Satire lediglich in Umriß
und Situation ihr Element und Erlebnis hat.
Es ist ebenso naturgemäß, daß die Rückkehr
aus der Mimosenwelt des Gefühls und der zartesten
Zusammenhänge kosmologischer, philosophischer
und mystischer Empfindungswellen
inunsregottlose Wirklichkeit zu einem scharfen
Aufprall werden mußte, daß von den Satirikern
unserer Tage nicht der behagliche Sarkasmus
eines Hogarth, auch nicht die ernste gütige Abgeklärt
heit eines Holbein verlangt werden kann.
Wir sind bei Otto Dix. Er hat, fast beunruhigend
, fabelhaft rasch Popularität erreicht, die
sich besonders in den Rheinlanden auswirkt. Dort
ist Dix Symbol und Schlagwort.
Warum zunächst? Weil er den Leuten zu lachen
gibt. Die Masse lacht nie über sich selbst;
aber jeder einzelne über den anderen. Und dazu
bietet Dix fürchterliche Handhaben.
Lacht er selbst dazu? Ohne Zweifel. Aber gewissermaßen
hinter den Kulissen. Man ist nie
ganz sicher, über wen er gerade Grimassen
schneidet. Das gibt den kitzligen Einschlag zu
den Vorgängen auf der Szene, die eigentlich oft
bitter ernsthaft sind.
Jedenfalls besteht ein — eben auf die Gesundheit
allgemeinen Gelächters gegründetes Gegenseitigkeitsverhältnis
, das zur Verständigung
führt. Was wäre Dix ohne das Publikum? Verrät
er je persönliche Angelegenheiten? Atelierträume
fernab von der Wirklichkeit? Innerstes,
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