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Erst im siebenten Jahrhundert, in dem die griechische
Geschichte prägnantere Formen annimmt
, beginnt eine individuelle Mannigfaltigkeit
der Kultur, die Aufnahme orientalischer
und ägyplischer Elemente in der Kunst durch
die anpassungsfähigen Jonier, das Wiederaufleben
der alten kretisch-my kenischen Kunsttradition
auf der Insel Melos, wo streng stilisierte
Tierbilder neben den Resten mykenischer Ornamentik
und geometrischen Stiles in weiches
Material geschnitten erscheinen. Das sechste
vorchristliche Jahrhundert bedeutet dann die
Blütezeit des archaischen Stiles. Die Erbteile
aus den verschiedenen Zeiten und Gegenden
sind durch den selbständig schaffenden griechischen
Geist zu einer einheitlichen Richtung im
künstlerischen Ausdruck vereinigt. Die Radtechnik
ist wieder in Übung gekommen und
wurde sorgfältiger wie ehedem gepflegt, harte
farbenschöne Steine gaben den Schmuckstücken
ein würdigeres Aussehen als das matte farblose
weiche Material der vorausgehenden Periode.
Hieran schließen sich die Arbeilen des freien
vollendeten Stiles des perikleischen Zeitalters,
dann folgen die reiferen, gefälligeren Formen
der Darstellungen in der Epoche des Praxiteles,
die an Kraft und Größe doch schon hinter den
Kunstwerken der vorhergehenden Periode zurückstehen
. Wie auf den Münzen der Blütezeit
vereinzelt Künstlersignaturen vorkommen,
so haben sich auch ihrer hohen Kunst bewußte
Steinschneider durch Beifügung ihres Namens
der Nachwelt vorgestellt. Neben Bildern aus
der Sagenwelt sind häufig Darstellungen aus
dem menschlichen Leben gegriffen. Die häufigste
Gemmenform in der Zeit des freien Stiles
von Alexander d. Gr. ist die des Skarabäoids.
Das dem ägyptischen Skarabäus nachgebildete
Skarabäoid ist von ovaler Form mit gewölbtem
Rücken, breitem, gerade abgeschnittenem Rand
und glatter Unterfläche.
Wie die übrigen Kunstgattungen, so gibt auch
die Glyptik der Diadochenzeit — die hellenistische
Epoche wird sie in der Kunstgeschichte
genannt — nichts wesentlich Neues.
Sie bedeutet nur ein Fortschreiten in der Stilentwicklung
, nicht selten einen derben Realismus
, der sich bis zur äußersten Übertreibung
in Bewegungen und Verkürzungen steigert,
wenn es gilt, einen Effekt, eine Leidenschaft
zum Ausdruck zu bringen. Besondere Erscheinungen
dieser hellenistischen Epoche sind einerseits
die mit vollendeter Kunst hingeworfenen
Skizzen, die oft mit Unrecht als flüchtige rohe
Arbeiten charakterisiert werden, ferner die Nachbildungen
archaischer Typen. Als Material wurden
weiterhin färben leuchtende harte Steine
verwendet. Die Hauptform der vorausgehenden
Periode, das durchbohrte Skarabäoid, verschwindet
zu Beginn der Diadochenzeit und an seine
Stelle tritt der eigentliche, meist ovale Ringstein
mit stark konvexer, für die Gravierung
bestimmter Oberseile.
In diese Zeit der hellenistischen Kunst fällt das
Aufkommen der erhaben geschnittenen Steine,
der Kameen. Die Verwendung der Kameen war
eine sehr vielseitige, zum Teil hatten sie Selbstzweck
und wurden als Schmuckgegenstände getragen
, zum anderen Teil waren sie als Appliken
an Kästchen, an Gefäßen und anderen Kunstgegenständen
verwendet. Das Material, aus dem
sie geschnitten wurden, war hauptsächlich der
Sardonyx von verschiedenen Schichten. Diese
erhaben geschnittenen Steine sind in der Ausnutzung
der Farbschichten mit besonderer
Kühnheit, bisweilen auf Kosten der Reliefs und
der Zeichnung, gearbeitet. Der Hauptsitz deshellenistischen
Ka m eenschnittes war A lexan dria.
Wie in den Kameen, so beginnt auch in den
Gemmen seit der Alexanderepoche das Porträt
eine bedeutende Rolle zu spielen. Die Bildnisse
Alexanders d. Gr., des Mithridates von Pontus,
des Demetrios Poliorketes, des Ptolemäus Soter,
die teilweise sicherlich nach dem Leben gearbeitet
sind, müssen als Prachtwerke hellenistischer
Porträtkunst angesprochen werden. Die engen
Beziehungen zwischen Rom und den Diadochen-
reichen im zweiten Jahrhundert v. Chr. erklären
die häufig vorkommenden Porträts hervorragender
Römer. Daneben finden sich auch Bilder
aus dem Leben, aus der Mythologie (bevorzugt
ist der Sagenkreis des Bakchos und der Aphrodite
) und die Heroensage.
Die römische Steinschneidekunst ist keine
originale Schöpfung, sie ist abhängig von griechischen
, besonders attischen Vorbildern, hat
jedoch durch technische Vollendung eine hohe
Stufe erreicht. Die ältesten auf italischem
Boden entstandenen Gemmen sind etruskische
Skarabäen, die im sechsten Jahrhundert v. Chr.
beginnen und sich in der ersten Hälfte des
fünften Jahrhunderts zur höchsten Blüte entfalteten
. Dem handwerklichen Geist der Etrus-
ker entsprach die minutiöse Ausarbeitung der
Gestalt des Käfers, die bei den Griechen nur
angedeutet wurde, ferner die dekorative Behandlung
des Randes der Basis, auf welcher der
Käfer sitzt. Das bevorzugte Material der etrus-
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