Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 53. Band.1926
Seite: 124
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WIEDER GEFUNDENE WERKE AUS FEUERBACHS PARISER STUDIENZEIT

Das Werk Anselm Feuerbachs ist uns in der
für die richtige Erkenntnis der Größe
seiner künstlerischen Persönlichkeit wesentlichen
Bedeutung bekannt. Nicht in gleichmäßigem
Wachstum der Vollendung entgegengereift
, von vielfachen Wendungen und Wand-
lungen abhängig, in seinem entwicklungsgeschichtlichen
Verlaufe häufig durch ein eigentümliches
überraschendes, sogar beunruhigendes
Hinundherschwanken des inneren Gleichgewichtes
gefährdet, hat es von jeher, auch weil
man bei seiner späten Anerkennung die menschlichen
Bedingungen solchen Schaffens allzusehr
zu betrachten geneigt war, zur willkürlichen
Aufstellung subjektiver Probleme gedient. Doch
haben die reichen historischen Quellen, das
„Vermächtnis'1 und die „Briefe an die Mutter",
größere Unternehmungen mit jenen gegenwärtig
beliebten, aber höchst bedenklichen literarischen
Psychoanalysen von Feuerbachs zu derartigen
Angriffen vorzüglich geeignetem Wesen
bisher ferngehalten. Wo Lücken der Lebensbeschreibung
mit verlorenem und vermißtem
Gut an Gemälden und Zeichnungen zusammentrafen
, blieb auch den nach zwei Seiten hin abgesperrten
Einfühlungswünschen keine Möglichkeit
einer Orientierung. So ist es gekommen,
daß Feuerbachs zweite Lebenshälfte, klar und
frei vor den Augen der Nachwelt, in der Sonderheit
und Eigenart der schöpferischen Tat zumeist
für sich allein, ohne Zusammenbang mit
früheren Ereignissen und Einwirkungen überschaut
wird, daß die ausschließliche Formulierung
seines Anspruches auf Unsterblichkeit stets
aus seinen römischen Arbeiten begründet erscheint
. Ausnahmsweise nur ist die Bemühung
darauf gerichtet, mehr von der Widerspruchsfreude
des ästhetischen Snobismus als von gesicherter
Witterung veranlaßt, die sehr bescheidene
Reihe der erhaltenen Bilder Feuerbachs
aus seiner Pariser Studienzeit kritisch nachzuprüfen
, mit dem erwünschten Resultat, ihre Abhängigkeit
von französischer Lehre erwiesen zu
haben. Ein inneres Verhältnis selbst zu dem
„Hans in der Schenke" oder dem „Tod des
Pietro Aretino" zu finden wird auch dem treue-
sten Verehrer der Feuerbachschen Kunst nicht
leicht fallen. Erst wenn es der Erinnerung gelingt
, die hoheitsvolle Strenge und die rhythmische
Gebundenheit auszuschalten, die uns als
die charakterisierenden Grundformen des Feuerbachschen
Stils bewußt sind, erst dann mag der
improvisierte malerisch-dekorative Reiz rein
empfunden werden, der sich aus den Jugendwerken
des Künstlers mit lebendiger Anmut
emporschwingt. Sind einmal die natürlichen
Vorzüge ihrer Malerei naiv und befreit von
literarischer x\uslegung erfaßt, so wird sich, anziehend
genug, der bewunderten Gestalt des
reifen Meisters die liebenswürdige Erscheinung
des inbrünstig die Weihen der schöpferischen
Erkenntnis erflehenden Jünglings gegenüberstellen
, dem deutenden Seher der verlangende
Adorant. Und ein gefälliger Mythos, die überlieferten
Geschehnisse milde verklärend, nunmehr
die Innigkeit der menschlichen Beziehung
erwecken.

Es ist daher nicht nur Aufgabe der sachlichen
Statistik, die von der Nachricht der Auffindung
eines Teiles der verlorenen Bilder und Zeichnungen
Feuerbachs aus der Zeit seines Pariser
AufenlhaltesKennlnis genommen hat,einen kühlen
Bericht zu erstatten. Es ist vielmehr Pllicht
freudiger Dankbarkeit, diese Wiedergewinnung
der Entdeckung eines kostbaren Schatzes gleich
zu achten, und bei der Veröffentlichung darauf
hinzuweisen, daß erst nach einem fast zwanzigjährigen
, durch die Jahre des Krieges unterbrochenen
Nachforschen und Ersuchen sich die
wohlgehütele Pforte geöffnet hat, welche Feuer-
bachs Pariser Nachlaß abschloß. Die Hoffnung,
auch den letzten Rest zu erhalten, hat sich einstweilen
nicht erfüllt. Immer noch fehlen wichtige
Arbeiten, immer noch entbehren wir eine Mappe
mit Entwürfen, deren Vorhandensein festgestellt
ist. Aber die nun in Feuerbachs Werk einzufügenden
zwanzig Bilder und Studien und die
annähernd ein halbes Hundert betragenden
Zeichnungen ergänzen gleichwohl, was wir schon
besaßen, in einer außerordentlich eindrucksvollen
Stärke. Feuerbachs Verbindung mit Thomas
Couture vor allem wird in einer auffallenden,
lange gehegte Vermutungen bestätigenden Weise
deutlich. Mit mächtig ausgreifenden Schwingen
hat sich der Schüler über die atelierbegrenzte
Atmosphäre des Lehrers em porgeho ben, der ihm
vergeblich zu folgen versuchte.
Feuerbachs Pariser Studienzeit, durch Reisen

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