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lichkeiL der nackten Mädchen Courbets. Aber
mit allen belanglosen naiven Fehlern eines akademisch
erzogenen Schnlknaben hat da Feuer-
bach sich an eine Arbeit gewagt, und diese glücklich
vollendet, die ihn auf die Liste der großen
„faiseurs de chair" in der sinnenfrohen Gefolgschaft
des Peter Paul Rubens setzt. Um nichts
anderes war es ihm zu tun, als um die Erringung
reiner malerischer Erkenntnisse, das Spiel des
Lichtes und der Schatten an der körperlichen
Erscheinung, um das aus eigener Kraft begonnene
S tudium des schlich ten, erst Jahrzehnte später
siegreichen Naturalismus. Welche Wandlung
des künstlerischen Ehrgeizes von dieser
nur aus der jugendlichen Freude des Sehens und
Wiedergebens geschaffenen Mädchenfigur zu
dem heroischen Schweigen der „ruhenden Nymphe
" aus dem Jahre 1871! Einigend allein die
rhythmische Vollendung der Gestalten im Raum.
Tief und sicher lag dieses wohlabgewogene, auf
musikalischer Grundlage frei sich erhebende
Gefühl als seiner Begabung edelster Anteil im
künstlerischen Willen Anselm Feuerbachs. Dem
Sinnenden eröffnen sich angesichts dieser Proben
Wege der Verheißung für die deutsche
Kunst, die sie niemals beschritten hat. Hier aber
leuchtet ein Wegzeichen. Manet lief aus Coutu-
res Atelier davon . .. Feuerbach blieb.. . !
Im Hörseiberge Coutures malte Feuerbach, noch
nicht allzusehr verstrickt in die Fesseln der Schule,
ein Blumenmädchen mit Tamburin. Eine reiche,
vollendete, in der dekorativen Ausschmückung
geschmackvolle Komposition. Lichter und heiterer
als die übrigen Frauengestalten der Cou-
tureperiode, die manchmal den matten, grünlichen
Gobelinton der Coutureschen Palette tragen
. Auch das Gesicht, mit dem kindlichen Ausdruck
der „verlorenen" Augen dem frühen Bildnis
der Antonie von Siebold ähnlich, hat noch
nicht den spanisch-mongolischen Typus der
späteren Bilder angenommen. Neben dem lichtblauen
Kleide treten die verschiedenartigen Ab-
stufungen auf einer von mattrosa zu korallendunkel
durchgespiellen Oktave in Rot, und ein
silbriger Schein webt sich von dem im Hintergrunde
aufschimmernden Baumstamm über
die Gestalt des Mädchens. Wir glauben die hei-
teren Einsätze Bouchers im Elfenreigen des
dix-huitieme von ferne zu vernehmen — solche
Grazie, solche Stimmung spricht aus diesem
Bilde, das zu den Darstellungen der römischen
Frauen Feuerbachs die „Disposition ä etre plu"
der von Stendhal geschilderten Pariserin im Vergleich
zu der „immobiliteparfaite" der Römerin
kundgibt.
Noch ist ein männliches Porträt seiner energischen
und tiefen Persönlichkei tsauffassung wegen
zu erwähnen, das in der dünnen Malerei und
der dunklen Farbentönung an das aus Berlepschs
Besit z in die Sammlung Stransky übergegangene
kleine Selbstbildnis Feuerbachs aus dem Jahre
1853 gemahnt. Ihm schließen sich einige Studienköpfe
an, darunter das strenge, idealistisch aufblickende
Antlitz einer Frau mit blauen Augen
und tiefschwarzem Haar, nur leicht aus der
zeichnerischen Anlage herausgehoben und in
diesem unvollendeten Zustande von besonderem
Wert. Denn hier werden wir belehrt, daß der
Genius des Zeichners Feuerbach, stets einen für
sich allein bewunderten Gipfel der deutschen
Kunst des 19. Jahrhunderts bestimmend, schon
in Paris die Strenge der eigenen Form erreicht
hatte.
Mehrere dieser Blätter stehen in der Größe der
räumlichen V ision hinter den berühmtesten Kartons
der römischen Zeit nicht zurück. Wie
unerschütterlich fest war doch schon der formale
Anspruch des Jünglings auf eine harmonische
Wirkung großer kompositioneller Darstellungen
gerichtet, als er an ihrer farbigen Ausführung
noch unruhig zweifelte. Wie weit auch
diese Veranlagung entfernt von den Lehren des
Klassizismus: eine aus innerlicher Leidenschaft
herausgewachsene Gebundenheit und Geschlossenheit
des zeichnerischen Duktus, dessen monumentales
Pathos mit der szenarischen Lebendigkeit
des behandelten Vorwurfes wetteifert.
Kannte Feuerbach die Illustrationen des Dela-
croix zum Faust und zum Plamlet? Fühlte er,
wenn er zeichnete, aus eigener schöpferischer
Intuition, wie sich da besondere Kräfte seines
seelischen Daseins mit Kräften seiner Phantasie
einigten, und schonungslos alle Reflexionen, alle
Lehren des Unterrichts beseitigten? Solche Fragen
, schwer zu beantworten, erheben sich vor
den kühnen Entwürfen des „Dante und Vergil",
des „Sommernachtstraumes", des „heiligen Antonius
". Diese Zeichnungen werden ihrer typischen
Eigenschaften wegen, da sie eine größere
und abstraktere Vorstellung der Feuerbachschen
Originalität — im Sinne der seinen Hauptwerken
entgegenführenden Richtung — geben als die
nach ihnen ausgeführte]! Gemälde, vermutlich
vor den letzteren gefeiert werden. Uberall auf
ihnen finden sich, schwungvoll und harmonisch,
jene handschriftlichen Züge, die aus den Zeich-
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