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ab, wie von ihrem Unterbau, und zugleich als
dessen Bekrönung. Ein erster Preis für den Elias
Holl-Brunnen inAugsburg(i 919), denLenbach-
Brunnen in Schrobenhausen (1920) und jüngst
ein ers ter und dritter Preis für das Kriegerdenkmal
in Ansbach lassen erkennen, wie Müller immer
mehr intektonischeAufgaben größerenStils
hineinwächst. Außerdem hat der bayerische Staat
vier seiner Freiplastiken, die Secessionsgaleric
eine solche erworben. Wir sehen in alledem gewiß
keine endgültige Gewähr für hohe Qualität,
wohl aber zeigen diese Erfolge, wie sehr sich
Müller der Wertschätzung künstlerischer Kreise
erfreut.
Die letzten fünf Jahre zeigen den Künstler in
der Vollkraft des Schaffens. Nun hat seine Art
ihre charakteristische Prägung gewonnen, in der
er weiterwachsen möge. Es wurde schon bei der
Bezugnahme auf Maillol hingewiesen, daß Müller
das Plastische vor allem in der Gestaltung des
allseitigen Runden sieht, um dessentwillen er voluminöse
Menschen wählt. Infolgedessen drängt
es ihn mehr zur Darstellung des Statischen als
Dynamischen,be vorzugt er die Ausponderierung
des Körpers und seiner Kräfte in Ruhe und
Gelassenheit, bei möglichster plastischer Klarheit
. Das Geistige und Stimmungsmäßige im
Sinne eines solchen Motives schaltet sich damit
von selbst aus, ja, es wird sogar die lebendige
Masse des Körpers derart zusammengedrängt,
daß sie fast neutralisiert erscheint und der kühlere
Eindruck des Gebauten ersteht. So tritt
der durchweg auf das Typische gebrachte Menschenleib
zugunsten einer rein künstlerischen
Idee zurück. Das berührt sich mit Grundanschauungen
der griechischen Plastik, wie sie bis
zur hohen Klassik wirksam waren: es handelt
sich weniger um die Darstellung des menschlichen
Gewächses als um die Sichtbarmachung
künstlerischer Elemente der Klarheit und Harmonie
an ihm. Nur sind die Griechen selten so
weit im Verzicht auf das unmittelbar Lebendige
gegangen. An sich kein Vorzug, wie der Verzicht
hierauf kein Mangel. Manchmal möchte
man meinen, Müllers Gestalten würden ihren
letzten Sinn erst im Stein gewinnen. Ergibt man
sich aber dem warmen Glanz der Bronze, dem
in breiten Flächen und Rundungen ruhig sich
entfaltenden Wechsel von Licht und Schatten,
so spürt man, wie Müller dieses Material benützt,
um seinen gedrängten Formen und ihren gebannten
Kräften die Lebensnähe zu sichern.
Die tragenden wie getragenen, die sich straffenden
wie lösenden Körperteile gleiten dadurch
strömiger ineinander. Allerdings nicht ganz.
Hier liegt noch ein Zukunftsziel des Künstlers.
Unbeschadet seines Ideales, ja im Sinne von dessen
Vollendung muß der Körper- und Kräftezusammenhang
noch einheitlicher werden. Will
man sich übertrieben ausdrücken, könnte man
sagen: Arme, Hände, Hals, Kopf, Augen, Busen
haben noch zu sehr etwas einzeln Geformtes,
etwas Angehängtes oder Aufgesetztes, wie die
Hauptmassen etwas Zusammengefügtes. Die
Teile müßten etwa im Sinne eines Marees noch
inniger ins Ganze einbezogen werden, um den
Organismus reiner und in seiner Betätigung
einheitlicher fühlen zu lassen.
Trotz dieses Dienstes an die plastische Form
vergewaltigt Müller die Natur nicht, gestaltet
sie vielmehr in ihren Wesenszügen durchaus
typisch, wie er den einzelnen Typ variiert. Man
vergleiche die stehende (1918) und schreitende
Frau mit dem stehenden Mann (1925): das Ertastbare
ist beide Male durchaus verschieden.
Dort runde, gesättigte, gleitende Formen von
verschiedener Elastizität, hier eckige, dürftige
und scharf sich gegeneinander absetzende Formen
. Das mehr Passive in der Frau, das Aktivere
im Mann ergibt auch ein anderes Stehen: bei
diesem belasteter, versteifter, keilförmig verhaftet
, bei jener gelöst und gelassen, in breiter
Entfaltung. Die gleichsam selbstverständliche
Weiterentwicklung bringt die „Schreitende"
(1919), der etwas Hoheitsvolles eignet. Die
„Klagende" (1923) bedeutet im Lebenswerke
Müllers eine Ausnahme — möge sie es bleiben!
So viel Gutes man über den Körper sagen kann,
der geistig-seelische Gehalt kommt darin nicht
einheitlich zur Geltung. Das Leidbelastete, aus
dessen Schwere sich die Arme flehend erheben,
erfüllt zu wenig den ganzen Körper und gipfelt
sich nicht genügend in Flaupt und Gesicht, die
'dadurch zu isoliert bleiben. So haftet der Gestalt
etwas Literarisches an.
Noch ein Wort über den Bildniskünstler. Da
ist ein Knabenkopf (1913), der sich in großen,
spannigen Flächen zu klarer Form schließt und
mit dem Knospenhaften des Leiblichen das kindlich
noch Unerwachte, träumerisch Versenkte
anschaulich verkörpert. Man sieht hier auch,
, wie die Wiedergabe der Augen in der Plastik
, eine andere Form gewinnen kann, ja muß, als
in der Zeichnung und Malerei, ohne diesen an
Ausdruckskraft etwas nachzugeben. Im Kopf
des „jungen Mannes" (1924) stecken ähnliche
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