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OSKAR KOKOSCHKA
DER MALER. 1925
UBER KOKOSCHKA
Der Name bezeichnet die stärkste malerische
Begabung innerhalb der Generationen, die
heute in Deutschland ungefähr die Mitte des
Lebens behaupten. Auf der Seite der Alten
steht ihm mit merkwürdig symmetrischer Haltung
jener Lovis Corinth gegenüber, der als
Sechziger seine schönsten Bilder gemalt hat.
Auf der Seite der Jungen — wir wüßten nicht,
wer ihm dort die Wage hielte. Aber wir dürfen
ihn selbst wohl auch als einen Repräsentanten
der Jungen zählen; und es ist vielleicht das
Rechte, selbst den Greis Corinth noch eine
Jugend zu nennen, gerade ihn, den noch kory-
bantischen und schon geläuterten Alten, der aus
einem wunderbaren Rausch gleichsam noch
jugendlicher, wiewohl gereinigter Kräfte malte;
und schließlich könnte man dem noch jungen
Kokoschka eine Überlegenheit der künstlerischen
Gebärden zuerkennen, die sonst der Reife erfahrenen
Alters entspricht — ist nicht in der
Tat etwas Altes in seiner Kunst und Persönlichkeit
? So daß wir endlich mit einer Abfolge
der Generation nicht viel ausrichten werden,
sondern nur einfach sagen können: wir erlebten
in diesem Deutschland zwei große Maler (in des
Wortes kühnster, eigentlichster Bedeutung):
Die in diesem Aufsatz erscheinenden Reproduktionen Kokoschkascher
Werke erfolgen mit freundlicher Genehmigung des
Kunstsalons Paul Cassirer, Berlin W.
Corinth und Kokoschka; wir fragen nicht mehr
nach dem Alter, nicht nach dem Platz in der
Geschichte der Kunst; wir sahen zwei Genien
im nämlichen Augenblick, und sie glichen einander
(wohl ohne es zu wissen und zu wollen —
aus Schicksal, durch einen Zwang der Anlage).
Sicher (und überflüssig, es zu versichern): es sind
auch sonst ungemeine Maler unter uns; allein
sie sind anderer Art — sie haben nicht dies
Überschwengliche des Malerischen, das jene beiden
kennzeichnet und das die letzte Tragweite
des Malerischen bedeutet...
Man wird die Abkunft dieses Malerischen, dieses
Überschwenglich-Malerischen, dieses Ausschweifend
-Malerischen verschieden darstellen können.
Das Nächste, Erste wäre dies: der Aufbruch dieses
malerischen Überschwangs sei dem Maler Kokoschka
wie dem Maler Corinth im Erotischen
geschehen. Zwar ist das Erotische nun bei diesen
beiden nicht genau das nämliche: bei Corinth
erhob es sich vor einem Hintergrund mächtiger
körperlicher Vorräte, eines barbarischen physischen
Überschusses; bei Kokoschka wurzelt es
im Sublimen <— beinahe in einer gewissen wienerischen
Verderbnis; bei Corinth mündete es
nach gröblichen Evolutionen des Fleisches endlich
jetzt ins Geistige; bei Kokoschka mündet
es, geistig, ja ästhetisch begonnen, nun in einen
raffinierten, allmählich aber auch schon natürlichen
Barbarismus. Man sieht leicht den Unter-
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