Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 53. Band.1926
Seite: 182
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0234
Erst Greco zertrümmert sie. BeiTintoretto spüren
wir noch immer den festen Boden. Zu völligem
Entriicktsein, zur Mystik und zur völligen
Hemmungslosigkeit und zum Überwälligtsein
von Nur-Gefühlen führt erstGreco. Man könnte
von ihm sagen, daß er schon in den frühesten
spanischen Bildern an Tintorettos Abendmahl
etwa anknüpfte, um dann mehr und mehr jede
Erinnerung an Tintoretto und an die Tradition
auszulöschen. Sieben Jahre lang soll Greco bei
Tintoretto gewesen sein. Also seit 1570! Denn
seit 157 7 weilt Greco in Toledo. Um rund zwanzig
Jahre überlebte Greco seinen Lehrer. In diesen
letzten Jahrzehnten wird er zum Bahnbrecher
des spanischen Barock. Unsere Abbildungen zeigen
Grecos Entwicklung seit 1580/84 bis nach
1608 auf. Und nun ist es durchaus bemerkenswert
, wie sehr der „Hl. Mauritius" Grecos ein
Beispiel ist für Grecos völlig anders gearteten
Subjektivismus. Der Heilige steht mit seinem
Begleiter noch aufrecht. Aber es ist kein Zweifel
, daß er nicht unabwendbar das Schicksal seiner
Zehntausend teilen wird. Nicht im Vordergrunde
steht der Heilige. In die Tiefe des Bildes
schräg nach links hinein hat ihn Greco so
gestellt, daß lediglich der Lichtstrahl, der aus den
Wolken einfällt, ihn als den Helden heraushebt.
Ein flüchtiger Augenblick vor dem Finale wird
festgehalten! Noch aberist die Bildfläche plastisch
gefüllt, in zusammengeballten Massen räumlich
empfunden. In dem „ Begräbnis des Grafen Or-
gaz" vom Jahre 1586 fehlt es an jeder näheren
Bezeichnung der Ortlichkeit. Nur daß es Nacht
ist, erfährt man. Weit mehr noch als bisher verspüren
wir hier jenen Zug der Weltverneinung
und der Orientierung nach dem Jenseits. Auch
wird das Wunder ganz im Sinne derSj^anier anschaulich
. Denn diesen, vom Feuer der Askese
und von der Inbrunst geistiger Hingabe erfüllten
spanischen Granden ist das Wrunder Selbstverständlichkeit
. Sie sind es gewöhnt, mit Heiligen
zu verkehren. Sie alle sehen mit ruhiger Gelassenheit
zu, wie die Heiligen Augustinus und Ste-
phanus in höchsteigener Person den müden Leib
des Grafen zur letzten Ruhe bestatten. Sie ahnen
aber auch die Herrlichkei ten des Jenseits, sie werden
selbst ebenso einst in die Himmelsherrlichkeit
dort oben eingehen, wie in diesem Augenblick
der verklärte Orgaz. Diese Selbstverständlichkeit
des Wrunders, das jederzeit sich erfüllen
kann, meint Greco auch im Gemälde des
„Hl. Idefonso". Abweichend von allem Üblichen
schildert er gar nicht die Erscheinung Marias.

Aber die zart-weiße Madonnenstatue vermöchte
jederzeit aus dem Hintergrunde vom Postamente
herunter nach vorne zu schweben. Das sagt uns
der Ausdruck des ganz Inspiration gewordenen
Heiligen.

In der „Vermählung Mariens" und der „Puris-
sima" ist Ausdruck der Schönheit der Seele künstlerisches
Ziel. Das suchen auch die ins Samtbläu-
liche,BlauweißlicheundFahlgelbespielendenFar-
ben symbolisch auszudrücken. Grecos Kunst ist
nur Gefühlskunst. Seine Weltanschauung ist
negativ, ist Pessimismus. Seine Bildform is t formlos
, seine Linie geht in Kurven. Jede Schwerkraft
der Materie wird vernichtet, jede Beziehung zu
ihr gelöst. Seine Menschen sind blutleer, sind
Schemen und Gespenster. Bisweilen will es scheinen
, als solle eine Art neuer Gotik durchbrechen
oder vielmehr, als ob Grecos Manierismus unmittelbar
an sie anknüpfen wolle. Auch die Bild-
erfindung ist ähnlich in ihrem oft abstrakten
Symbolismus, ihrer Betonung der Mystik und in
ihrer Gottessehnsucht. Deshalb werden auch mit
einer beinahe gewaltsamen Entschlossenheit alle
naturalistischen Einzelheiten bis zur Kargheit
fortgelassen. Wenn Greco die „Immaculata"
malt, so feiert er nicht nur das Dogma der unbefleckten
Empfängnis, sondern zugleich die reine
Gottesgebärerin. Dann fehlen nicht die marianischen
Symbole des „beschlossenen Gartens", der
„Rose von Jericho", der „Zeder des Libanon"
usw. Die seidenschimmernden Farben gleichen
dem spröden, keuschen Kristall, in dessen Prismen
das Himmelslicht in allen farbigenNuancen
spielt.

Farbige Blitze, die vom obersten Lichtkreis auszufließen
scheinen, erhellen die blau verdämmernde
Nacht.

Geisterhaftes Mondenlicht ist über das funkelnde
Rot und Grün der „Olbergszene" ausgegossen
und verstärkt die Seelenqual des Heilands. Zuk-
kenden, flackernden Irrlichtern gleich flammt
der Racheschrei der Seelen aller Märtyrer auf
in der „Eröffnung des fünften Siegels". Wie ein
gespenstiger Dämon ruft ein völlig aus aller Fassung
gebrachter Johannes sein „Wehe, Wehe"
in die Weltennacht hinein, die im Feuer unterzugehen
scheint. Ein letztes Wort spricht Greco
in jenem Gesichteder „StadtToledo im Gewittersturm
", einer hochansteigenden Landschaft von
Mauern, Kirchen und Klöstern, um deren Besitz
Himmel und Hölle zu streiten scheinen. Hierent-
rolltsich ein Drama, das von Ewigkeit zu Ewigkeit
die entfesselten Urgewalten der Natur aufzeigt.

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