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FRANZ NAAGER DAS SCHIFF
ZU NAAGERS ZEICHNUNGEN
Die Zeichnungen, die wir hier veröffentlichen
— man möchte sie Capriccios oder
Venetianer Atelierszenen nennen — sind so ganz
vom elementaren Wesen Naagers erfüllt, daß
es mir angebracht erscheint, einmal mir über
dieses Wesen einiges zu sagen und alles andere,
was sonst über das reiche Schaffen dieses Malers,
Bildhauers, Kunstgewerblers, Dekorateurs,
Fabrikherrn, Tapetenerfinders, Architekten,
Holzschneiders, Radierers, Kenners, Sammlers,
Schriftstellers, Genießers und Schwärmers zu
erinnern wäre, beiseite zu lassen, wenn es nicht
gerade in Zusammenhang mit diesen Zeichnungen
erwähnt werden muß.
Wer Naager kennt, wer jene große Ausstellung
gesehen, die mir im Sommer 1923 (bei Heinemann
in München) ein künstlerisches Ereignis
wurde, weiß, daß manches, was er hier in großen
Blättern uns vorlegt, damals in farbigen Gemälden
zu sehen war: Landschaften, Straßen und
Kanäle Venedigs, Prozessionen und Bettler, Dirnen
und Heilige in fabelhaft großen Räumen und
vor allem Maler beim Malen nach weiblichen
Modellen.
Lebhaft erinnern die Zeichnungen an den Genuß
jener Ausstellung, die wie eine einzige unwiderstehliche
Versuchung des farbigen, leichtsinnigen
, lustigen Venedigs eines Guardi oder
Magnasco wirkte,in dem jeder, ob arm oder reich,
ein Künstler in immer anderer Art gewesen zu
sein scheint, das Leben zu genießen.
Und damit sind wir mitten drin in der eigentlichen
Welt unseres Franz Naager, in der Welt,
der Seele, dem Rausch, den er uns mitteilt.
Denn es malen auch andere sehr Ahnliches und
wir haben Zeichnungen und Gemälde genug von
„Malern im Atelier", von Raufereien, von Straßenszenen
usw. Und doch sehen alle diese Bilder
ganz anders aus als die Blätter Naagers. Die
Fülle der Bilderthemen, auch die Wahl der Themen
, macht noch nicht den Naager aus, der einzig
ist. Und die großartig-sichere Manier, das
Virtuose und Sparsame seinerMalerei und Zeichnung
ist auch nur ein Teil, wenn auch ein wichtiger
seiner persönlichst erhaltenen Gabe, seines
persönlich erworbenen Könnens. Also nicht das
Wie und nicht das Was entscheidet hier, nicht
das unverkennbar sichtbare, sondern das ganz
eigene innere Leben, das Blut, das hier fühlbar
wird, gibt Naager die einzigartige Stellung unter
seinesgleichen. Denn wie er seine Maler und Modelle
und Dirnen und Bengels und all diese selbstbewußten
überlegenen Gestalten der Straßen
und Ateliers und Spelunken und Paläste gibt,
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