Augustinermuseum Freiburg i. Br., [ohne Signatur]
Die Kunst: Monatshefte für freie und angewandte Kunst
München, 53. Band.1926
Seite: 201
(PDF, 102 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0257
DER KUNST EINE SEELE!
AUS „CASPAR DAVID FRIEDRICH, BEKENNTNISSE"*)

Hüte dich vor kalter Vielwisserei, vor frevelhaftem
Vernünfteln ; denn sie tö te t das Herz,
und wo das Herz und Gemüt im Menschen erstorben
sind, da kann die Kunst nicht wohnen!
Bewahre einen reinen kindlichen Sinn in dir und
folge unbedingt der Stimme deines Innern; denn
sie ist das Göttliche in uns und führt uns nicht
irre!

Heilig sollst du halten jede reine Regung deines
Gemütes; heilig achten jede fromme Ahndung;
denn sie istKunst in uns! Inbegeisternder Stunde
wird sie zur anschaulichen Form; und diese Form
ist dein Bild!

Mit eignem Auge sollst du sehen und, wie dir
die Gegenstände erscheinen, sie treulich wiedergeben
; wie alles auf dich wirkt: so gib es im Bild
wieder!

So ist der Mensch dem Menschen nicht als unbedingtes
Vorbild gesetzt, sondern das Göttliche,
Unendliche ist sein Ziel. Die Kunst ist's, nicht
der Künstler, wonach er streben soll. Die Kunst
ist unendlich, endlich aller Künstler Wissen
und Können.

Nach dem Höchsten und Herrlichsten mußt du
ringen, wenn dir das Schöne zuteil werden soll.

Nebensache hin, Nebensache her! Nichts ist
Nebensache in einem Bilde, alles gehöret unumgänglich
zum Ganzen; darf also nichts vernachlässigt
werden. Wer dem Hauptteile seines
Bildes nur dadurch einen Wert zu geben weiß,
daß er andere, untergeordnete Teile in der Behandlung
vernachlässiget, mit dessen Werk ist
es schlecht bestellt. Alles muß und kann mit
Sorgfalt ausgeführt werden, ohne daß jeder Teil
sogleich zu sehen sich aufdringt. Die wahrhafte
Unterordnung liegt nicht in der Vernachlässigung
der Nebensachen zur Hauptsache, sondern
in der Anordnung der Dinge und Verteilung
von Schatten und Licht.

EsistRegelbei euch geworden, durch die schroffsten
Gegensätze eure Gedanken auszudrücken.

*) Caspar David Friedrich, Bekenntnisse. Ausgewählt und
herausgegeben von Kurt Karl Eberlein. Verlag Klinkhardt
& Biermann, Leipzig.

Ihr sucht Mannigfaltigkeit, verliert die Einheit
und verirrt euch in Widersprüchen. Offenbart
sich denn auch die Natur nur durch Gegensatz ?
Preiset ihr nur dann die Schöne des Morgens,
wenn die Nacht zuvor stürmisch war? Oder
glaubt ihr denn, daß wo Einheit ist, keine Mannigfaltigkeit
sein kann? oder daß Einfachheit
Leere ist?

Wem die Natur sich nicht offenbart im zartesten
Einklang, sondern nur im schroffsten Gegensatz
erkennt ihren Geist, dessen Sinn ist verschlossen
für Kunst.

Wer will wissen, was einzig schön ist und wer
kann es lehren? Und wer, was geistiger Natur
ist, Grenzen setzen und Regeln dafür geben?
O ihr trockenen ledernen Alltagsmenschen, ersinnt
immerhin Regeln! Die Menge wird euch
loben für die dargebotenen Krücken, wer aber
eigene Kraft fühlt, verlacht euch.

Die Kunst tritt als Mittlerin zwischen die Natur
und den Menschen. Das Urbild ist der Menge
zu groß, zu erhaben, um es erfassen zu können.
Das Abbild als Menschenwerk liegt näher den
Schwachen und so erklärt sich auch wohl die
öfter gehörte Äußerung, daß das Abbild mehr
gefalle als die Natur (die Wirklichkeit). Oder
auch die Redensart: es ist so schön, als wenn es
gemalt wäre; statt von einem Gemälde zu sagen,
es sei so schön als wenn es Natur wäre.
Uber den Hang so vieler Menschen, alles so im
Gebiete des geistigen Unendlichen Liegende, sei
es Wissenschaft oder Kunst, in beengende Formen
zu schmieden: Jeden freien Aufschwung der
Seele möchten die Engherzigen hemmen, damit
hübsch alles auf betretenen und ausgetretenen
Wegen einhergehe. Laßt doch, ihr weisen Herren
, jedesStreben ungehindert seinen Weg gehen,
denn selbst dieVerirrungen führen am Ende doch
noch zu etwas Gutem. Jede Zeit hat ihren guten
und bösen Geist; erkenne nur das Bessere der
Gegenwart und stelle nicht, wie viele jetzt wollen
, die Vergangenheit als unbedingtes Vorbild
für die Gegenwart auf. Warnen könnte man
allenfalls, aber hindern sollte man nicht.

Die Kunst für Alle. XXXXI. 7. —

April 1926

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