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hat, vermag unter den Sprunghaftigkeiten der
picassistischen Entwicklung die innere und notwendige
Einheit einer Entfaltung wahrzunehmen
.
Zu den Bildern von 1917 bis 1922 ist in unserem
Zusammenhang wenighinzuzufügen. Ihr Klassizismus
ist — fast herausfordernd — deutlich.
Fast wörtliche Ubernahmen einzelner Formungen
aus spätanliker Malerei tun dar, daß die
Bezeichnung dieses Klassizismus als „Ingris-
mus" zum mindesten sehr einseitig wäre. Rückschauend
wäre nur zu beachten, wie sich dieser
Klassizismus gegenüber dem ersten von 1905
geläutert und gereinigt hat — zum Hauptteil
kraft des inzwischen durchgemachten Stahlbads
des Kubismus! Wie die Linie sich um
wichtige Raumwerte bereichert, wie sie sich auch
gefühlsmäßig gefüllt hat. Und wie sie trotz dieser
Bereicherung die Fläche nicht mehr aufsaugt,
wie im Gegenteil diese jetzt vollwertig neben der
Linie besteht und in ihrem Innenrhythmus die
Plastizität des Körperlichen voll ausdeutet. Vor
allem, wie das Räumliche nun geklärt und gefestigt
im naturalistischen Bildzusammenhang
auftritt und die Wirklichkeitsfülle des Werkes
behauptet. Das gleichberechtigte Nebeneinander
der Elemente — Linie, Fläche, Raum, Farbe! —
wird bis zur Naivität betont. Dabei doch nie der
klare Gang klassizistischer Formführung durchbrochen
.
Im heutigen Schaffen Picassos, das sich wieder
der vom Gegenstand losgelösten Malerei zugewendet
hat, erstarkt zusehends die dekorativi-
stische Komponente. Aber auch sie nicht ohne
kräftige Füllung mit einer das Auge beruhigenden
, das Empfinden sättigenden Klassizität, wie
sie sich aus jahrzehntelangen Bemühungen herausgeläutert
hat. Vom Genußstandpunkt des
Betrachters aus ist es vielleicht bedauerlich, daß
Picasso heute schon wieder jenen Weg verlassen
hat, auf dem ihm am ehesten eine komplexe,
allgemein gültige Gestaltung seiner Wesensund
Weltmöglichkeiten zu gelingen schien. Wir
meinen jene Versuche in Richtung auf einen
klassizistisch normierten Realismus, wie er in
dem schönen Harlekinbild von 1923 sich andeutete
. Sicher ist es aber notwendig, vom Standpunkt
einer schöpferischen Veranlagung aus,
die sich nur in den ins Extrem gesteigerten Komponenten
ihres Wesens persönlich gültig auszusprechen
vermag.
Di-. Oskar Schürer
PABLO PICASSO AKT (ZEICHNUNG) 1919
Mit Erlaubnis der Galerie Paul Rosenberg, Paris
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