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MAX OPPENHEIMER
Man weiß nicht recht, wo man Max Oppenheimer
(oder, wie er sich in charakteristischer
Abkürzung seines Namens gern nennt:
Mopp) unterbringen soll. Es weht etwas Internationales
um ihn. Wien und Paris sprechen herein
, und seine Kunst scheint mehr noch als die
seiner Zeit- und Weggenossen rasch wechselnden
Entwicklungsgesetzen unterworfen. Sein
künstlerischer Charakter bewegt sich von Disziplin
und Selbstzucht, die etwas Gesetzmäßiges,
fast hätte ich gesagt: militärisch Unerbittliches
hat, bis zur ausschweifenden Unbesorgtheit. So
auch seine Technik — scheinbar wenigstens —:
ich weiß, daß er seinerzeit das Bildnis Heinrich
Manns in weniger als drei Stunden heruntermalte
und daß er an seinem großen „Konzert" jahrelang
saß: nicht, als ob ihm Komposition, Aufbau,
AusführungSchwierigkeitenbereitethätten, sondern
weil ihn technische, rein maltechnische Fragen
in einem Grade und in einem Ausmaße beschäftigten
, daß ihm eine zügige Durchführung
und Vollendung dieses seines Hauptwerkes nicht
möglich war. Kurz: Mopp ist eine Erscheinung
nicht im Sinne der Unklarheit vor sich selbst,
aber als schwer durchschaubare künstlerische
Persönlichkeit für die Außenstehenden.
Indessen zieht auch er und zieht seine Kunst,
wie alles, was problemartig ist, an und fordert
zur Auseinandersetzung heraus. Eine Zeit, wie
die unsere mag wohl zur Klarheit und Erkenntnis
drängen, aber sie selbst ist nichts weniger als
durchsichtig in ihrem Wollen und Leisten. Aus
chaotischem Gewoge steigt viel Faszinierendes,
aber wenigPositives und Definitives auf. Ich weiß
nicht, ob die Mehrzahl der heutigen Künstler das
Wesen der Zeit erschöpft. Viele weichen thematisch
Problemen aus, die uns angehen, die uns in
unserem Interesse tiefer fassen könnten, als es
Blumensträuße und Gebirgsseen oder Hafenbilder
vermögen. Man mag sagen, das sei eine
äußerliche Auffassung — es mag so scheinen.
Aber die Richtung, die die Kunstproduktion —
ich wähle dieses Wort mit aller Absicht—neuerdings
einschlug, gibt dem recht, der der Meinung
ist, das Inhaltliche, Stoffliche, Thematische der
Kunst werde einer neuen künstlerischen Generation
, der, die jetzt heraufzieht, nicht so gleichgültig
und nebensächlich sein wie der gegenwärtigen
. Das Wort und der Begriff „Neue
Sachlichkeit", die den Expressionismus und seine
Verzögerungen und Nebenerscheinungen ablösten
, deuten darauf hin, und man hat schon
wieder eine Gruppe solcher oft mehr als naiv
sich gebärdenden, die Gebilde wie aus der Spielzeugschachte
] herausholenden Neorealisten beisammen
, die sich nun als Gonfalonieri des
„Neuesten vom Neuen" in der Kunst fühlen.
Man muß diese Strömungen und Strebungen,
Irrungen und Wirrungen einenAugenblick überdenken
, muß dies alles: den französischen Impressionismus
und den von deutschen Idealisten
mit Inbrunst hochgezogenen Expressionismus
, die rührend-ergreifende Gestalt des alten,
gebrochenen und doch malerisch noch so lebendigen
Corinth, den Ubergang zum neuen Realismus
und die geistigen und sozialen Voraus-
setzungen für diese Flucht der Erscheinungen,
sich zu einem Ganzen bilden, und hat dann
den Hintergrund, vor dem sich Oppenheimers
Schaffen abspielt und ohne den es sich nicht
abspielen könnte. Das rasende Tempo und die
Mannigfaltigkeit und Buntheit dieser Entwicklung
ist auch in seinem Schaffen. Aber es ist
das Außerordentliche, daß er bei dieser Entwicklung
nicht einer der Genießenden ist, nicht
einer, der nur Nutzen ziehen will. Er hat sich
nicht in ein gemachtes Bett gelegt und verzehrt
nicht die Früchte mit dem Behagen des
Erben. Sondern er gehört seit mehr als zwei
Jahrzehnten zur „Spitzengruppe"; er ist immer
vorne dran und bahnt Wege. Im Grunde ist er
einsam und stellt sich auf sich selbst, und was
er malt, zeichnet und radiert, das geschieht
nicht um der anderen, sondern um seinetwillen:
nicht aus Egozentrik im ethischen Sinne, sondern
aus der Erkenntnis, daß nur jene Leistung Wert
hat und die Gewähr der Dauer in sich birgt, die
mit Persönlichkeit, mit Individualität, mit dem
Ego förmlich geladen ist.
Also: Im großen und ganzen den Verlauf der
Kunstentwicklung unserer Zeit in seinem Schaffen
spiegelnd, stets aber an der Spitze, gleichsam
witternd, was dem Geist der Zeit entspricht,
Stoffe von Bedeutung wählend und gestaltend, in
technischen Dingen heute von großer Peinlichkeit
, dies alles auf den Nenner einer aparten, sehr
zarten, aber um ihrer Eigenart willen dennoch
markanten Eigenart bringend — so erscheint
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