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LOVIS COR11NTH
CALLA, FLIEDER UND AMARYLLIS. 1922
Besitzer: Robert Eichberg, Breslau
schlafraubend ihn wie bange Ungeduld und aufreibende
Erwartung aufwühlte. Seine Arbeiten,
die so lebendig impulsiv, elementar, aus der triebhaften
Vitalität seines Temperamentes entstanden
zu sein scheinen, sind oft das Ergebnis einer
lang gehegten, tief verborgenen Absicht, etwas
zu gestalten, das in ihm lange gärte und das sich
ihm selbst erst im Laufe von Jahren abrundete
und klärte. Dann stand es da, durch fieberhaftes,
ununterbrochenes Schaffen geboren, und immer
war Werk und Ergebnis erschütternd. Eine unglaubliche
Trostlosigkeit befiel Corinlh, wenn
eine dieser langgehegten Vorstellungen Gestalt
angenommen hatte. Enttäuscht und verwirrt,
verbittert und gequält, erlebte er einen inneren
Zusammenbruch, von dem er sich nur nach
und nach erholte. Kein Werk gab ihm das, was
er sich aus seiner Vision heraus vorgestellt hatte.
Kopfschüttelnd sagte er immer wieder: „Ich
kann es nicht so machen wie es in der Natur
ist, wie ich es sehe." Erst wenn dann der nötige
zeitliche und geistige Abstand kam, dann erkannte
er das Überragende seiner Schöpfung
und freute sich an und mit ihr.
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