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Melodierens, das immer mehr zu fleißiger Hingabe
gespornt ein lockendes und zu erweckendes
Leben vor sich schaut. Auf dem Gemälde der
„Pompon-Dahlien" (das Motiv ist gegenständlich
breiter auch unter den „N ächtlichen ßlumen-
stiicken") befindet sich zur Seite ein in grünlichem
Schimmer schwirrendes Insekt, eine
vibrierende Auflichtung der Erscheinung, die
nach Farbe noch etwas geisternd spürt und im
Sinn fürs Kleine zum größeren Erleben drängt.
Zunächst ist so der Sinn für eine gespannte
Haltung und Weckung des Zustandes im einzelnen
stärker, aber er sucht nach der Stetigkeit
einer größeren Bildhaltung. Diese Kunst steuert
auf eine neue Besonderheit der Erzählung und
erzählten Optik. Und in diesem Wege liegt
allerdings etwas sehr Zeitgemäßes.
Kunst dieser Art geht nicht in die volle und in
sich flutende Farbe, sondern sie hält sich an
Schein und lebendige Merkwürdigkeit von empfundenen
und festgehaltenen Dingen und Zuständen
; sie glaubt gewissermaßen an den festen
Vorrat des Wachsenden und Klingenden, der
Blumen, der Figuren und beispielsweise besonders
der Geigen auf dem Bilde der „Sommermadonna
". Das alte Motiv der Madonna im
Blumenhag wdrd so von den Dingen her wieder
lebendig. Es ist erzählter Zustand von Gewesenem
, der auf verhaltenen Bahnen wieder neu
gesehen wird und nicht verlassen werden will.
Das ist gewissermaßen ein Appell an die natürliche
und gegenständlich erwählte oder durch
den Zweck hochgebildete Schönheit, der sich in
einem Schaffen wie dem von Heise wieder rührt
und bei ihm eine bestimmte Entstehungsschärfe
und empfindliche Gegenwart hat. Damit kommt
er über ähnliches Kunstschaffen älterer Art
heraus in ein persönliches Daseinsgefühl.
Kunst dieser Art hat auch einen stark lyrischen
Einschlag und entsprechend eine graphische
Richtung. Auch stofflich und technisch hat sich
Heise vielfach in Graphik und Illustrationen zu
Dichtungen betätigt. 1918 erschienen 12 Holzschnitte
zu Don Quijotte, 1920 darauf 10 kolorierte
Handdrucke nach Federzeichnungen zu
E. T. A. Hoffmanns „Fräulein von Scuderi",
1923 Arbeiten zu einem Dichter, der für diese
neue intime Kunsttendenz besondere Anziehungskraft
hat, nämlich 10 Urzinkzeichnungen
zu A. Stifters „Narrenburg". Schon früher
hatte Heise zu Hans von Webers Dreiangeldrucken
beigetragen und 1924 den letzten Hundertdruck
dieses Verlegers mit Steinradierungen
zu zwei Balladen von Ludwig FI. Ch. Hölty geliefert
. 1924 sind auch die Illustrationen zu
Ricarda Huch „Aus der Triumphgasse" erschienen
. Charakterisiert werden vor allem letztere
Arbeiten durch die außerordentliche technische
Sorgfalt, die sich teilweise ganz einer
unveränderlichen zeichnerischen Materialbehandlung
hingibt. Es kann hier zu einer Gefahr
kommen, indem die penible technische Wirkung
mehr an der Stimmung des Ausdrucks beteiligt
wird als das gelöstere poetische Gefühl. Eine
ähnliche Gefahr gibt es bei anderen Künstlern
neuer Tendenz mit mehr konstruktivistischer
Absicht. Hier handelt es sich aber um ein persönliches
Hindurchmüssen und das derart gebundene
Gefühl hat jedenfalls den Vorzug vor
einer bloß allgemeinen, sentimental lavierenden
Schönförmigkeit. Aber in den freieren, mit
sparsamerer Wirkung gemachten Blättern und
Illustrationen äußert sich auch das freiere Vi-
gnettieren und Komponieren, z. B. schon beim
„Quijote", das im allgemeinen etwas rokokohaft
und episodisch beweglich anzusprechen ist.
Es wird sich aber darum handeln, aus der epi-
sodischenBeweglichkeit wieder den wesentlichen
und festen Bildinhalt und die direkte Anschauung
der Bildform herauszuschöpfen. Wie sich
diese innere Bindung zunächst herstellen will,
das ist für heute außerordentlich charakteristisch.
Es ist, wenigstens in der hier angezeigten Richtung
, ein starkes vegetatives Gefühl beteiligt,
Wesen und Formen der Blumen vor allem, die
blumige Bedeckung der Natur, dann das weitere
und doch noch nähere Gefühl für die Materialien
der Erde, besonders das Holz und die bindende
Art seiner Farbe. Und von hier aus — es ist
ein eigentümlicher Sprung von der Natur in
die Geschichte — also vom' Holz aus gibt es
eine besondere Verbindung in die Spätgotik.
Freilich kann auch hier eine Gefahr verborgen
liegen, daß man bei der Betrachtung eines eigenen
, mit Liebe gepflegten Gefühles und bei einer
Analogie zu älterer Kunstform stehen bleibe.
Der Künstler, der die „^Vintermadonna" und
die „Sommermadonna", den „Totentanz", die
„Verleugnung Petri" und anderes gemalt und
soeben ein großes Stephanus-Motiv für eine
Kirche vollendet hat, hat sich in dieser rückwärtsschauenden
Form nicht festgelegt. Das
Eigenpersönliche in seinem Bildschaffen, das
mit Langsamkeit und zuwartender Stetigkeit
vor sich geht und sich vom Sinn zum stärkeren
Ausdruck führen läßt, gibt gute Ver-
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