http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0340
ERNESTO DE FIORI SELBSTBILDNIS. BRONZE. 1923
Mit Genehmigung der Galerie Flechtheim, Berlin
ERNESTO DE FIORI
Gefährlich ist es in einem Land, die Schönheit
der in sich ruhenden Gestalt darzustellen,
wo man häufig mit der barocken Geste das Wesen,
mit dem Interessanten den Wert des Kunstwerkes
verwechselt. Das Pathos hält man meist
für Bedeutung, in einer mysteriösen Formzertrümmerung
ahnt man die Größe und nur im
Lallen und Stammeln glaubt man, die Sprache des
Genius zu vernehmen. Hingegen ist man geneigt,
das Gleichmaß der Formen nichtssagend zu
finden. Die Anmut des nackten Körpers, die zu
jedem spricht, wird oberflächlich gescholten und
die Grazie ist verdächtig geworden.
In solchem Land und solcher Zeit arbeitet der
Bildhauer de Fiori an seinen Bronzen und Terrakotten
. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich
um Porträtbüsten und um die Darstellung des
stehenden und schreitenden Körpers. Auf die
Geste wird verzichtet. Die Sprache der Gebärde
ist nicht vorhanden. Jeder stärkere Bewegungsausdruck
wird vermieden. Zumeist steht der
nackte menschliche Körper steil aufgerichtet da.
Nichts ist spürbar als die statische Ruhe einer
im Raum aufgerichteten Erscheinung. Alle
Funktionen sind latent. Ihr Ausdruck liegt im
Innern und ist unendlich leise geworden. So mag
es geschehen, daß wir durch eine gekrümmte
Hand oder ein vorgerücktes Spielbein, das die
Symmetrie des Ganzen unterbricht, plötzlich
betroffen werden. Daß wir einen lebendigen
Atem im Kunstwerk spüren und daß uns die
feine Drehung eines Kopfes in dieser Stille stärker
berührt als anderswo eine große Gebärde,
die den ganzen Körper mitreißt.
Das Thema dieser Plastiken ist die Darstellung
des menschlichen Seins. Nicht der mit dem
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