http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0353
JOSE DE TOGORES
Phot. Galerie Simon, Paris
FRAU MIT KOPFTUCH
HEUTIGE KUNST IN PARIS
Erste Uberschau enttäuscht: hochkultiviertes
Malkunstgewerbe, aber nirgends überwältigend
das, was man die Moderne nennen könnte,
d. h. was hinter den angeschauten Dingen eine
„heutige" Anschauung der Welt offenbart. Aus
der Gesamtproduktion müßte das zu erkennen
sein. Vor der aber steht man unsicher. Um sie
sich zu klären, muß man nach Linien suchen,
die aus dem Gestern herüberreichen.
Als die stark vereinheitlichende Sehweise des
Impressionismus sich aufzulösen begann, traten
die Grundlinien französischer Anschauung wieder
deutlicher hervor. Da waren zunächst die
Fauvisten, Erben des Impressionismus und zugleich
seine Gegner, in denen sich noch einmal
alle Impulse der Zeit zusammenfanden. Sie intensivierten
die formalen wie die inhaltlich-subjektiven
Werte der Bildgestaltung bis zur Höchst-
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grenze. Farbnuancen wurden zurückvereinheitlicht
, die Flächenbestimmung durch starkbetonte
Konture verstärkt, dabei immer der „Ausdruck"
des Bildes als letztes Kriterium betrachtet.
In der Vereinfachung bis zum Typischen ging
am weitesten Matisse, der in seinen Gestaltungen
manchmal ans Ornament rührt. Aber diese
„Wildheit" sprengt sich im Lande traditioneller
Kultur bald auseinander, die heterogenen Kräfte
münden in die ihnen gemäßen Ströme ein. Sie
reichen bis ins Heute. Matisse besänftigt seine
Malerei zu sublimen Farbakkorden, sein Ornament
erweicht sich ins Teppichhafte. Heute
dringt er — hauptsächlich in der Graphik — zu
einer überaus kultivierten undsehrpräzisenForm
durch, von der aus er sich der Wirklichkeit
wieder nähert. Er ist der anerkannteste Maler
der Moderne. Eine breite Nachfolge hat sich
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