http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/die_kunst_53_1926/0368
Wicklung reif geworden ist, diese manchmal bis
dicht ans Kitschige heranreichende Wirklich-
keitsabkonterfeiung als reinsten Ausdruck ihrer
inneren Kräfte zu empfinden, kann von einem
modernen Realismus gesprochen werden. Wie
dieser „Ausbruch Utrillo" auf die weitere Entfaltung
der französischen Malerei einwirken wird,
ist noch nich t abzusehen. Daß er die Seitenströme
des Romantizismus und des Dekorativismus in
sich einsaugen wird, dafür bürgt seine elementare
Kraft. Ein bloßer „Utrillismus" wäre das
Verderben der Nachläufer. Vielleicht sinkt die
persönliche Erscheinung wieder zurück in die
Entwicklung. Die zeitgemäße Bedeutung ihrer
Werke wird man nicht vergessen dürfen.
Noch seien einige charakteristische Erscheinungen
aus dem Reiche der Skulptur genannt. Vor
allem Maillol. Er hat den entscheidenden Schritt
getan: hat sich Rodin gegenübergestellt. In ihm
beginnt die moderne französische Plastik. Daß
er sie auch führt, beweist der Torso, den er in
der Ausstellung der Galerie Druet in diesem
Sommer zeigte. Bei ihm geht elementare Wucht,
Wohllaut der Konture und klassische Ausgewogenheit
der Massen zur künstlerischen Einheitzusammen
. Zögernder zur Monumentalität
vordringend, meißeltDespiaux seine schönen Figuren
in den Stein. In bedächtigem Schaffen hebt
er die Harmonien aus der Naturform heraus und
baut sie ins Gefüge. Vor allem seine Porträtbüsten
lassen in ihm den ernsten, sehr ehrlichen
Künstler erkennen. Hernandez, ein Spanier, arbeitet
in den härtesten Stein (Porphyr, Basalt)
seine sorgsam erspähten Formen nach dem Tier
der Exotik. In jahrelanger Arbeit zwingt er dem
Stein jene leise Fügsamkeit ab, in der er die tiefste
Regung seiner Tiere festhält. Die Russen Zad-
kine und Lipschitz mühen sich um abstraktere
Formenschau, letzterer unter fruchtbringender
Verwendung des Dekorativen.
Damit wären die Hauptlinien heutigen Kunstschaffens
in Paris umrissen. Um das Gerüst rankt
sich die breitere Entwicklung. Daß auch hier die
Zeit des lauten Experimentierens einem stilleren
Suchen gewichen ist, verbindet die Pariser mit der
allgemein europäischen Situation dieser Tage. Ob
aber in der allzufein sich verästelnden Schönmalerei
, die heute wieder mehr wie zuvor gepflegt
wird, nicht über eine derzeitige Schwäche hinaus
eine Gefahr für ein zielbewußtes und resolutes
Vorwärts lauert, diese Schicksalsfrage mag sich
die Pariser Kunstwelt selbst beantworten.
Oskar Schürer
GEORGES BRAQUE
STILLEBEN. ig24
Galerie Paul Rosemberg, Paris
296
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